Themen: Bitcoin/Blockchain, Creative Commons, Digitale Nachhaltigkeit, Forschung, Open Government Data, Open Source, Urheberrecht


Beitrag im UniPress 166 „Digitale Realitäten“ (Dezember 2015) der Universität Bern

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Kurzfristiges Denken und schädliche Abhängigkeiten dominieren nicht nur die physische, sondern auch die digitale Welt. Die Prinzipien der Nachhaltigkeit müssen deshalb auch hier umgesetzt werden, fordert Matthias Stürmer – und zeigt, wie das geht.

Die Situation ist leider vielen bekannt: Dokumente, die in den 80er- und 90er-Jahren auf Computern gespeichert wurden, sind heute praktisch nicht mehr zugänglich. Einerseits gibt es kaum mehr Geräte, die noch die alten 3.5-Zoll oder gar 5.25-Zoll Disketten lesen und auf neuere Medien kopieren können. Andererseits lassen sich Dateien, selbst wenn sie auf einem modernen PC zugänglich wären, nicht mehr vollständig lesen, weil die dazugehörigen Programme auf den heutigen Betriebssystemen nicht mehr laufen. Glücklicherweise gibt es engagierte Programmierer, die sich die Zugänglichkeit alter digitaler Datenformate auf die Fahne geschrieben haben. So kann beispielsweise die Open Source Office-Suite LibreOffice die früher verbreiteten Dateien von ClarisWorks zumindest teilweise wieder öffnen. Solche Ansätze der Abwärtskompatibilität von Anwendungen sind hilfreich, um Daten langfristig zugänglich zu halten. Nichtsdestotrotz ist der Zugriff auf ältere, digitale Daten heute ein grosses Problem, sowohl im privaten Umfeld als auch in der Unternehmenswelt und in der öffentlichen Hand.

Abhängigkeiten schaffen

Neben dieser technischen Ursache von ‚un-nachhaltigen‘ digitalen Informationen gibt es aber auch absichtlich verursachte Barrieren. Das Urheberrecht bildet dafür die Basis, geschaffen 1886 durch die Berner Übereinkunft zum Schutz von Werken der Literatur und Kunst. Heute verkaufen Informatikfirmen beispielsweise oftmals proprietäre (also nicht frei zugängliche) Anwendungen, die mit geheim gehaltenen Datenformaten und Schnittstellen eine möglichst hohe Abhängigkeit der Kunden verursachen. Sie entwickeln clevere Mobile Apps oder lancieren praktische Online-Dienstleistungen, die einfache Lösungen für alltägliche Probleme bieten. Dropbox zum Teilen und gemeinsamen  Bearbeiten von Dokumenten ist ein gutes Beispiel. Oder auch Apple beherrscht die Kunst der Kundenbindung durch attraktive Produkte (iPhone) und Plattformen (iTunes) hervorragend.

Nachhaltiges Handeln in der digitalen Welt

Aus betriebswirtschaftlicher Sicht macht diese Schaffung von Abhängigkeiten Sinn, denn Firmen handeln stets mit der Absicht, den Profit zu maximieren. Dies erreichen sie besonders gut, wenn ihre Kunden möglichst abhängig sind. Aus der Perspektive der privaten Anwender oder auch für öffentliche Stellen wäre es aber sinnvoll, möglichst unabhängig und frei handeln zu können.

Die Beispiele zeigen: Nachhaltiges Handeln sollte wie in der physischen Welt auch im digitalen Bereich das Ziel sein. Doch wie kann digitale Nachhaltigkeit nun konkret verstanden werden? Die bekannten Nachhaltigkeits-Prinzipien können aus der Welt der ökologischen Nachhaltigkeit auch in die digitale Welt übertragen werden, wie im Folgenden ausgeführt wird:

1. Intergenerationen-Gerechtigkeit

Digitale Güter wie Daten, Software und Kulturgüter sollten nicht nur für die heutige Generation, sondern auch für die kommenden Generationen zugänglich sein. Rechtliche, organisatorische, technische oder finanzielle Hindernisse sollten die Nutzung, Veränderung und Weiterverbreitung digitaler Güter nicht behindern. Voraussetzung dafür ist unter anderem eine vollständig transparente Informationsarchitektur, wie sie beispielsweise bei Open Source Software oder offenen Standards der Fall ist. Zentral ist ausserdem eine offene Lizenz, unter der das digitale Gut veröffentlicht wird. Creative Commons Lizenzen sind für digitale Werke geeignet, Open Source Lizenzen für Software, Open Access Bestimmungen für Forschungsergebnisse. Eine breit anwendbare Definition der Offenheit von digitalen Gütern hat die Open Knowledge-Bewegung unter www.opendefinition.org veröffentlicht.

2. Regenerationsfähigkeit

Informations- und Kommunikationstechnologien unterliegen einem steten Wandel. Deshalb sollten möglichst viele Menschen die Option haben, sich durch Partizipationsmöglichkeiten an der Herstellung, Weiterentwicklung und Verbreitung von digitalen Gütern beteiligen zu können. Gleichzeitig ist es für die kontinuierliche Weiterentwicklung eine Voraussetzung, dass das implizite Wissen (Englisch: ‚tacit knowledge‘) über ein digitales Gut nicht nur bei einer Person oder einer Firma liegt, sondern verteilt ist auf möglichst viele Akteure. Diese sollten ihre Innovationen ungehindert miteinander teilen können. Für Datenformate und Softwareumgebungen sollte ausserdem eine stabile Weiterentwicklung mit Hinblick auf die Vergangenheit erfolgen (Abwärts- und Aufwärtskompatibilität), sodass die digitalen Güter stetig verbessert und erweitert werden können.

3. Sparsamkeitsprinzip

Digitale Güter unterliegen zwar keiner physikalischen Abnutzung, wie dies in der physikalischen Welt der Fall ist. Jedoch können sie faktisch verloren gehen, weshalb sie dann allenfalls neu geschaffen werden müssen (siehe das eingangs erwähnte Beispiel). Dies widerspricht dem Gedanken des sparsamen Gebrauchs von Ressourcen. Die Wiederverwendung und Weiterverbreitung einmal geschaffener Ressourcen durch alle Akteure sollte deshalb technisch und rechtlich möglich sein. Das bedeutet, dass digital nachhaltige Daten oder Software-Anwendungen beliebig kopiert werden dürfen, um eine möglichst hohe Anwendung zu erfahren. Auch sollten sie an möglichst vielen Orten abgespeichert sein, damit beim Verlust einer Kopie das digitale Gut dennoch wiederhergestellt werden kann. Peer-to-Peer Ansätze wie Torrent oder Bitcoin wenden genau dieses Prinzip an.

4. Risikoabbau

Herstellung und Nutzung digitaler Güter beinhalten zahlreiche Risiken wie die erwähnte Schaffung von Abhängigkeiten gegenüber den Nutzern oder das Risiko fehlerhafter Interpretation. Digitale Güter sollten deshalb so gestaltet sein, dass sie keine Abhängigkeiten zu ihren Herstellern schaffen, vertrauenswürdig sind und durch alle Nutzer richtig interpretiert werden können. Eine Voraussetzung dafür ist die durch alle überprüfbare und transparente Informationsarchitektur. Ausserdem sollte die Integrität von Informationen, also ihr korrekter, unmodifizierter Zustand sowie die Authentizität des Datenursprungs stets gewährleistet werden. Dazu werden meist digitale Signaturen oder so genannte Hashfunktionen (Prüfsummen) verwendet.

5. Absorptionsfähigkeit

Digitale Informationen erzeugen direkt keine Emissionen. Allerdings müssen sie sinnvoll aufgenommen werden können, damit sie neuen Bedürfnissen und Anforderungen angepasst und auf innovative Weise weiterentwickelt werden können. Damit beispielsweise die immer grösser werdenden Informationsmengen von Menschen noch verstanden und interpretiert werden können, sollten digital nachhaltige Daten verständlich strukturiert sein. Mittels Metainformationen können Daten ausserdem einheitlich beschrieben werden, sodass auch grosse Datenmengen mittels Software noch sinnvoll dargestellt, durchsucht und gefiltert werden können. Eine Idealform sind beispielsweise Linked Data, die semantisch beschreiben, wie einzelne Informationseinheiten miteinander in Beziehung stehen. Bei Software als digitales Gut spielt die aktuelle, gut verständliche Dokumentation eine wichtige Rolle. Aber auch eine hohe Qualität der Programmierung, die Strukturierung des Quellcodes und Modularisierung der Architektur helfen neuen Entwicklern, sich rasch einarbeiten und die Software weiterentwickeln zu können.

6. Ökologisch-ökonomische Wertschöpfung

Digitale Güter sollten allen uneingeschränkt zur Verfügung stehen und geteilt werden können, um das Potenzial für Innovationen auszuschöpfen und durch Wertschöpfung für die Gesellschaft möglichst hohen Nutzen zu stiften. Dazu ist es notwendig, die Rahmenbedingungen auf regulatorischer Ebene so auszulegen, dass frei zugängliche digitale Ressourcen gefördert werden und Verbreitungskanäle wie das Internet allen gleichermassen geöffnet sind. Eine bekannte Idee ist beispielsweise, dass durch öffentliche Gelder finanzierte Kulturgüter oder auch Forschungsergebnisse allen frei zugänglich sind.

Beispiele von digital nachhaltigen Plattformen

Bereits heute gibt es eine Vielzahl von Plattformen, die aufgrund ihrer offenen Lizenz grundsätzlich das Potenzial haben, digital nachhaltig zu sein und die oben genannten Kriterien zu erfüllen. Konkret existieren rund eine Million Open Source Programme, die über Portale wie GitHub, OpenHub oder SourceForge gefunden und heruntergeladen werden können. Im deutschsprachigen Raum gibt es die Opensource-DVD und www.opensource.ch wo viele praktische Programme auf deutsch beschrieben sind.

Freie Inhalte wie Bilder, Musikstücke, Sounds, Filme, Grafiken oder Schriftarten sind auf Portalen wie Flickr und Google Images mittels Filterung nach Creative Commons lizenzierten Inhalten auffindbar. Wikipedia als frei zugängliche Enzyklopädie ist allen bekannt, noch weniger bekannt ist beispielsweise OpenStreetMap als freie Kartografie-Plattform. Offen zugängliche Daten werden heute von vielen staatlichen Stellen auf dem Open Government Data Portal Schweiz oder international von den Vereinten Nationen, der Weltbank und vielen anderen Institutionen zur Verfügung gestellt. In der Bildung und Forschung besonders wichtig sind Konzepte wie Open Education, Open Access, Open Research Data und Open Science, die Lehrmittel, wissenschaftliche Ergebnisse und Forschungsdaten offen zugänglich machen wollen.

Die Prinzipien des frei zugänglichen, digitalen Wissens wird auch immer mehr in die physische Welt übertragen. Open Hardware mittels RaspberryPi und Arduino ermöglicht die Erstellung von innovativen elektronischen Steuersystemen. Open Source Pharma ist der Ansatz für frei zugängliche Medikament-Verbindungen und die Open Source Seed-Initiative will der wachsenden Patentierung von Pflanzen und Samen entgegen wirken. Immer mehr Menschen erkennen offenbar die Vorteile von frei zugänglichen, digitalen Gütern und deren Übertragbarkeit auf die technische Entwicklung.

MatthiasStuermer_November2013_qKontakt: Dr. Matthias Stürmer, Oberassistent am Institut für Wirtschaftsinformatik und Leiter der Forschungsstelle Digitale Nachhaltigkeit, matthias.stuermer@iwi.unibe.ch

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