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Publiziert auf t3n.de: Mit dem Kauf von Sun hat Oracle die Kontrolle über zentrale Open-Source-Technologien wie MySQL, Java und OpenSolaris übernommen. Die jüngsten Entscheidungen von Oracle haben große Diskussionen darüber ausgelöst, ob Oracle das Open-Source-Entwicklungsmodell weiter leben will oder nicht. Wir fassen die aktuellen Ereignisse zusammen und zeigen auf, welche wichtigen Erkenntnisse zur Nachhaltigkeit von Open-Source-Projekten eine differenzierte Sichtweise und vertiefte Analyse der Reaktionen auf die aktuellen Ereignisse liefert.

Es war vorhersehbar: Mit Oracles Kauf von Sun sind zwei Welten zusammengestoßen. Viel wurde bereits bei der Ankündigung im letzten Jahr und bei der Gutheißung durch die Europäische Kommission Anfang 2010 spekuliert, wie diese zwei vollständig unterschiedlichen Unternehmenskulturen aufeinander einwirken würden. Und tatsächlich sieht es so aus als ob selbst die schlimmsten Befürchtungen wahr geworden sind: Stilllegung oder Vernachlässigung von Open-Source-Projekten, Community-Eklats, Preiserhöhungen, Brain Drain und sogar Patentklagen. Bei der Open-Source-Version von MySQL werden wichtige Funktionalitäten wie Backup laut MySQL-Urvater Michael „Monty“ Widenius künftig nicht mehr weiterentwickelt. OpenSolaris wurde faktisch in den Ruhestand geschickt und die Community ausgehebelt, das Governing Board trat vergangene Woche geschlossen zurück. Das zuvor gratis erhältliche ODF-Plugin kostet nun plötzlich 90 US-Dollar. Open-Source-Experten und Software-Entwickler von Sun wie Simon Phipps, Adam Leventhal, Tim Bray oder James Goslin haben Oracle unter lautem Protest verlassen. Und der größte aller Coups: Oracle hat Google wegen Patentverletzungen bei Androids Java-Implementation verklagt. Auf den ersten Blick scheint es also so, als ob nach Microsoft nun Oracle der neue „IT-Konzern non grata“ der Open-Source-Szene werden möchte.

Fokus auf ein einziges Open-Source-Betriebssystem

Fragt man aber bei Oracle-Managern nach und recherchiert man etwas genauer, dann tauchen für die meisten Vorkommnisse plötzlich nachvollziehbare Erklärungen auf, die Oracle wieder in besseres Licht rücken. Zum Beispiel OpenSolaris. Dies war seit der Lancierung im Jahr 2005 Suns Open-Source-UNIX-Antwort auf die Linux-Distributionen. Oracle hingegen wirkt schon seit vielen Jahren substanziell an der Weiterentwicklung des Linux Kernels mit. In zwei freie Open-Source-Betriebssysteme zu investieren habe sich für Oracle zu kostenaufwändig herausgestellt, erklärten uns auf Nachfrage zwei Oracle-Manager, die namentlich nicht genannt werden wollen. Insbesondere weil OpenSolaris nie einen relevanten Marktanteil erlangt habe. Deshalb wolle sich Oracle nun auf den kommerziellen Vertrieb von Solaris konzentrieren und sein Open-Source-Engagement auf Linux fokussieren. Die zweigleisige Strategie, einen Open-Source- und einen Closed-Source-Software-Stack zu vertreiben, hat Oracle noch nie verheimlicht. Und dass die externe OpenSolaris Entwickler-Gemeinschaft vor den Kopf gestoßen wird, stört Oracle nicht weiter, denn es kann kein guter Ruf verloren gehen, wo noch nie einer war.

Laut Aussagen der beiden Oracle-Manager genießt MySQL hingegen weiterhin eine wichtige Stellung innerhalb von Oracle, wie die interne Reorganisation zeige. Gestützt wird dies durch eine Umfrage von Jaspersoft, die ergeben hat, dass MySQL-Benutzer nun unter Oracle gar eine Verbesserung der Weiterentwicklung von MySQL erwarten. Dem widersprechen MySQL-Mitgründer Monty Widenius sowie ein langjähriger MySQL-Mitarbeiter im Interview; Oracle habe gar keine wirklich erfahrenen MySQL-Entwickler mehr behalten können, weil die meisten Schlüsselpersonen bereits nach dem Kauf von Sun die Firma verlassen hatten. Wie wichtig die Weiterentwicklung von MySQL für Oracle nun tatsächlich ist, muss die Zukunft zeigen.

Beim Kritikpunkt des neuerdings kostenpflichtigen ODF-Plugins für Microsoft Office und die angeblichen Preiserhöhungen für Support von Suns Hard- und Software geben die Oracle-Manager eine nachvollziehbare Begründung an. Sun war bekannt dafür, dass sie schlecht im Vermarkten ihrer eigentlich hochqualitativen Produkten waren und entsprechende Verluste einfuhren. Oracle hingegen verfügt über eine riesige Verkaufsbelegschaft und hat diese schon seit jeher entsprechend den Abhängigkeiten seiner Kunden die Preise diktieren lassen. Auch hier ein logisches Verhalten einer gewinnorientierten Organisation.

Die Abgänge bei den Open-Source-Entwicklern erklären die Oracle-Verantwortlichen mit einer natürlichen Fluktuation bei Firmen-Mergern und betonen gleichzeitig, dass dies von den rund 35.000 Ex-Sun-Angestellten bloß ein paar wenige aber sehr wortstarke Mitarbeiter sind. Wichtig sei auch zu berücksichtigen, dass gesunde Open-Source-Projekte eben gerade nicht von Einzelpersonen abhängen dürfen und im Firmenalltag auch tatsächlich von vielen verschiedenen Programmierern weiterentwickelt werden.

Feuersturm Oracle-Klage gegen Google

Die Story rund um Oracles Klage gegen Google hat schließlich am meisten Staub aufgewirbelt und wird am prominentesten diskutiert. Dies, weil sich a) zwei prominente IT-Großkonzerne rechtlich und kommunikativ streiten, b) mit Android und Java zwei hochaktuelle Technologien betroffen sind und es c) um Grundsatzfragen wie Software-Patente und Community-Prozesse geht. Die Geschichte geht zurück ins Jahr 2007, als Google Android auf den Markt brachte, sich aber nicht mit Sun auf eine Lizenzierung der Java-Umgebung einigen konnte. Sun hatte zwar Google auf die Umgehung des Java Community Prozesses hingewiesen, dennoch aber nie konkrete Maßnahmen ergriffen. Unterdessen besitzt Oracle die gesamten Sun-Patente im Zusammenhang mit Java und verwendet diese nun gegen Google – ein leidiger Krieg um geistiges Eigentum beginnt, wie ihn die Open-Source-Szene schon oft erlebt hat (siehe SCO vs. IBM oder Microsoft vs. TomTom).

Wie diese Situation nun zu interpretieren ist, daran scheiden sich die Geister. Laut den befragten Oracle-Managern unterstütze die Klage gegen Google die Open-Source-Community, denn sie zwinge den Internet-Giganten an die Einhaltung des Java-Community-Prozesses. Diese Sichtweise wird auch von Experten innerhalb der Java-Community geteilt. Ganz anders stellt natürlich Google die Situation dar. Wie TechCrunch mitgeteilt wurde, verurteilt Google die Klage von Oracle als Angriff auf die Java-Entwicklergemeinde und impliziert gleich in allen drei Sätzen, dass sie die eigentliche Open-Source-Community vertreten. Deckungsfeuer erhält Google durch Adobes Open-Source-Chef Dave McAllister, der in Microsoft und Oracle eine „Achse des Bösen“ sieht.

Etwas differenziertere aber nicht weniger spannende Sichtweisen werden von vielen weiteren Open-Source-Experten wie Java-Vater James Goslin („war zu erwarten“), GNOME- und Mono-Gründer Miguel de Icaza (pure Schadenfreude), Canonical-COO Matt Asay („den Osterhasen gibt es nicht“) , Software-Patent-Gegner Florian Müller („ich habe es immer gewusst“) sowie Business-Model-Kenner Carlo Dafara (pragmatische Detailanalyse) verfasst. Interessanterweise zeigen diese Kommentare deutlich auf, dass kein klares „Oracle vs. Open Source“ oder „Google ist pro Open Source“ auszumachen ist. Beide Firmen verwenden offenbar den Begriff „Open Source“ zu ihren Gunsten, um der IT-Welt einen eiskalt geplanten Rechtsstreit zu begründen. Denn selbst Google hält sich nicht immer an die Good-Governance-Prinzipen von Open-Source-Communitys, wie Jason Hiner in seinem Artikel „The dirty little secret about Google Android“ beschreibt. Verständlicherweise möchte sich Chris DiBona, Open-Source-Verantwortlicher bei Google, auf Anfrage von t3n momentan nicht dazu äußern.

Open-Source-Entwicklungsmodell auf dem Prüfstand

Die aufgezeigte Streitfälle sind zwar an sich relativ unabhängige Geschichten, die unterschiedliche Open-Source-Communitys betreffen. Und doch haben sie eines gemeinsam: In allen Geschehnissen steht das Open-Source-Entwicklungsmodell auf dem Prüfstand. Was passiert, wenn eine große Technologie-Firma die Entwicklungsstrategie ihrer Open-Source-Produkte wechselt und wieder einen Schritt Richtung Closed Source vornimmt? Sind die Benutzer der Software tatsächlich unabhängig genug vom Anbieter, um den notwendigen Support künftig woanders zu erhalten? Laut Theorie des Open-Source-Entwicklungsmodells sollte der Wegfall eines Entwicklers oder einer ganzen Firma nicht wesentlichen Einfluss auf die Fortsetzung des Open-Source-Projekts haben, denn andere Personen und Organisationen können Dank des frei zugänglichen Quellcodes in die Bresche springen und entsprechende Aufgaben übernehmen. Im Extremfall würde dies gar bedeuten, dass sich ein Teil der Entwickler-Community organisatorisch abspaltet, den Quellcode kopiert und unter neuem Namen als so genannten Fork („Gabelung“) weiterentwickelt. Somit müssen die Sponsoren eines Open-Source-Projekts wissen, dass die Community jederzeit ihr digitales Damoklesschwert, das Forking, einsetzen kann, wenn sich die steuernde Firma nicht richtig verhält. Aus diesem Grund herrscht nur geringe Anbieterabhängigkeit bei Open-Source-Software, da sie nicht von einer einzelnen Organisation kontrolliert werden kann.

Soweit die Theorie. In der Realität gibt es unterschiedliche Open-Source-Projekte, die von sehr heterogenen Communitys (beispielsweise der Linux Kernel) bis hin zu stark homogenen Entwickler-Strukturen (beispielsweise OpenSolaris) reichen. Obwohl die Software stets als bezeichnet werden kann, da sie unter einer entsprechend OSI-zertifizierten Lizenz veröffentlicht wurde, sind die Community-Strukturen doch vollständig anders. Verlässt eine Firma die Linux-Entwicklergemeinschaft, hat dies keine gravierenden Konsequenzen. Stellt nun aber Oracle die Weiterentwicklung von OpenSolaris ein, wird dies ein Überlebenskampf für die zurückbleibende Community. Diese hat im Sommer 2010 vorausschauend ein Fork von OpenSolaris, das Projekt Illumos, gegründet. Ob dies eine nachhaltige Alternative für OpenSolaris-Benutzer ist, wird sich zeigen. Ein OpenSolaris-Kunde, der nicht genannt werden möchte, bezweifelt, dass die Community ohne Unterstützung von Oracle ein genügend zuverlässiges und kompetentes Support-Modell aufbauen kann. Zudem hat er gerade wegen der großen Unternehmung hinter OpenSolaris auf diese Plattform gesetzt. Zu einem neuen Open-Source-Community-Projekt wie Illumos habe er zumindest zur Zeit noch wenig Vertrauen. So prüfe er längerfristig auch Alternativen wie die Migration auf eine Linux-Plattform.

Erfolgreiche Forks von Suns Open-Source-Software

Bei anderen von Oracle abgestoßenen Open-Source-Projekten sieht die Situation besser aus. So haben sich beispielsweise Simon Phipps und zahlreiche weitere Personen, die zuvor bei Sun mit der Single Sign-On-Plattform OpenSSO beschäftigt waren, unter dem Firmennamen ForgeRock zusammengeschlossen und bieten nun ein umfassendes Portfolio von Dienstleistungen inklusive Bug-Fixing und Code Analysis für die ehemalige Sun-Software an. Bei proprietärer Software wäre dies unmöglich gewesen, aber bei Open-Source-Software ist das absolut legal.

Ein weiteres Erfolgsbeispiel eines Forks hat MySQL-Mitgründer Monty Widenius bereits vor eineinhalb Jahren gestartet, als er seine Anteile an MySQL verkauft und mit rund zwanzig anderen Kern-Entwicklern die Firma Monty Program AB gegründet hat. Sie haben das Projekt MariaDB lanciert, ein so genannter Branch des MySQL-Quellcodes, da Verbesserungen (Patches) nach wie vor zu einander kompatibel sind und auch entsprechend integriert werden. Daneben gibt es noch weitere MySQL-Branches bzw. -Forks wie Drizzle, Percona Build, XtraDB und OurDelta.

Verteiltes Wissen ist elementar

Der Ausgang der zwei erwähnten Unternehmensgründungen ist ungewiss. Die Firmen müssen mit ihren Open-Source-Forks erst beweisen, dass sie langfristig unternehmerisch erfolgreich sein können. Dennoch sind aus dem Oracle-Case bereits heute einige Erkenntnisse möglich, die Aufschluss über künftige Evaluationen von Open-Source-Lösungen geben.

Wichtig ist daran zu denken, dass Großkonzerne trotz öffentlichen Commitments für die Open-Source-Philosophie nie aus Mitgefühl oder Selbstlosigkeit handeln sondern am Ende des Tages immer nach den Marktmechanismen funktionieren. Unter einer Open-Source-Lizenz veröffentlichte Software kann kein Unternehmen wieder zurückziehen, aber wenn es die Urheberrechtsbestimmungen zulassen, können beispielsweise künftigen Software-Versionen als proprietäres Produkt weiterentwickelt werden, wie Oracle dies mit OpenSolaris und Teilen von MySQL geplant hat. Ein künftiges Opfer einer derartigen Entwicklung könnte auch OpenOffice.org sein, wenn nicht rechtzeitig eine handlungsfähige Trägerschaft gegründet wird.

Als Fazit gilt: Die digitale Nachhaltigkeit eines Open-Source-Projekts wird negativ beeinflusst, wenn die Entwickler-Ressourcen von einer einzelnen Firma stammen. Wird ein Projekt wie OpenSolaris vorwiegend durch ein Unternehmen weiterentwickelt, befinden sich die Software-Benutzer trotz Open-Source-Lizenz in einer großen Abhängigkeit zum Software-Hersteller. Erst wenn eine Open-Source-Community aus genügend unterschiedlichen Beitragen wächst und die Weiterentwicklung von einer unabhängigen Non-Profit Organisation koordiniert wird (siehe als Beispiel die Eclipse Foundation), kann von einem digital nachhaltigen Open-Source-Projekt gesprochen werden. Es kommt somit nicht nur auf den frei verfügbaren Quellcode an, sondern wirklich wertvoll sind die Kern-Entwickler dahinter und dass ihr Wissen möglichst breit gestreut ist. Unter anderem auf dieses Qualitätskriterium sollten Organisationen künftig bei der Wahl von Open-Source-Plattformen achten.

Über den Autor

Dr. Matthias Stürmer ist Senior Advisor bei Ernst & Young in den Bereichen Open Source, Social Media und Mobile Communications. Seine Doktorarbeit hat er an der ETH Zürich über den Einfluss von Firmen auf Open-Source-Communities verfasst. Matthias Stürmer ist Vorstandsmitglied der Swiss Open Systems User Group /ch/open und unter anderem Initiant der Parlamentarischen Gruppe Digitale Nachhaltigkeit.

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