Themen: Bundesverwaltung, Juristisches, Microsoft, Öffentliche Beschaffung, Presse, Vorstoss


MEDIENMITTEILUNG DER BESCHWERDEFÜHRER
Zürich, 29. März 2011

Das Bundesgericht entscheidet für Microsoft und gegen Schweizer KMUs im Beschwerdefall gegen die CHF 42 Mio. Vergabe an Microsoft. Nationalrat Alec von Graffenried sowie der Verein /ch/open bedauern das Urteil und wollen sich nun auf politischem Wege verstärkt für Chancengleichheit bei öffentlichen Softwarevergaben einsetzen. Dabei wird die Bundesverwaltung aufgefordert, den Trend zu mehr Transparenz und offenen Systemen nicht zu verschlafen.

Hintergrund

Seit den 90er Jahren hatte die Bundesverwaltung, ohne dies öffentlich zu publizieren, in regelmässigen Abständen freihändig Grossaufträge an Microsoft vergeben. Nachdem dies Anfang Mai 2009 aufflog, hatten sich mehrere Schweizer KMUs sowie andere Open Source Anbieter dagegen gewehrt und gefordert, dass solche Aufträge gemäss dem Beschaffungsgesetz öffentlich ausgeschrieben werden.

Das Bundesverwaltungsgericht hatte diese Beschwerde erstinstanzlich mit der Begründung abgewiesen, dass nur Microsoft-Anbieter selbst gegen eine solche Vergabe Einsprache erheben können, da nur diese die durch den Bund gewünschten Microsoft-Produkte anbieten. Das Gericht hat dabei nicht berücksichtigt, dass es eine Reihe von breit eingesetzten Konkurrenzprodukten gibt, unter anderem aus dem Open Source Umfeld.

Heutiger Entscheid

Dieser Gerichtsentscheid wurde nun heute durch das Bundesgericht bestätigt. Die Beweise, dass es tatsächlich Konkurrenzprodukte gäbe, wurden laut Bundesgericht durch die Beschwerdeführer nicht ausreichend erbracht. Dass dies aber auf Grund des Fehlens eines Pflichtenheftes seitens der Bundesverwaltung gar nicht möglich war, liess auch das Bundesgericht ausser Acht. Dies ist umso schwerer nachzuvollziehen, da das Bundesgericht sogar intern solche Konkurrenzprodukte einsetzt und auch international Millionen von Verwaltungsangestellten mit Produkten wie OpenOffice.org arbeiten.

Erst kürzlich hatte der Bundesrat als Antwort auf den Vorstoss von Alec von Graffenried, Nationalrat Grüne Kt. Bern, bekannt gegeben, dass im Jahr 2009 von den rund CHF 184 Mio. im Bereich Informatik mit CHF 86 Mio. beinahe die Hälfte dieses Betrages ohne öffentliche Ausschreibung an Informatik-Anbieter vergeben wurde. Entsprechend enttäuscht ist Alec von Graffenried, Mitglied Kernteam der Parlamentarischen Gruppe Digitale Nachhaltigkeit, über den heutigen Entscheid des Bundesgerichts, der diese Praxis weiter untermauere: „Ich bedauere die Ablehnung der Beschwerdelegitimation. Damit wird der Missstand im IT-Beschaffungswesen der Bundesverwaltung geradezu gutheissen. Aus diesem Grund werde ich in der Sondersession im April einen weiteren Vorstoss einreichen, der einen fairen Wettbewerb bei öffentlichen IT-Beschaffungen fordert.“

Fazit

Auf Grund des Urteils werden auch in Zukunft Schweizer Steuergelder ungehindert ins Ausland und zu Microsoft fliessen. Zudem wurde die Verwaltung im wesentlichen davon entbunden, sich an die WTO-Gesetze zu halten, welche durch Produkt- und Hersteller-neutrale Ausschreibungen für Chancengleichheit sorgen sollten.

Die Open Source Anbieter bedauern diesen Entscheid und nehmen zur Kenntnis, dass für Schweizer KMUs auch in Zukunft keine Möglichkeit besteht, ihre Rechte gegenüber grossen ausländischen Konkurrenten gerichtlich durchzusetzen. Auch die /ch/open wird künftig verstärkt auf politischem Weg eine Verbesserung der IT-Beschaffung des Bundes und die generelle Förderung von Transparenz, Chancengleichheit und offenen Standards in der Bundesverwaltung anstreben. Gleichzeitig werden die Open Source Anbieter sicherstellen, dass bei öffentlichen Ausschreibungen wo möglich auch Open Source Lösungen angeboten werden.

Aufgrund des wachsenden Trends für Open Government geht die Entwicklung im In- und Ausland in Richtung transparenterer Strukturen und einer offeneren Informatik bei öffentlichen Institutionen. Somit hoffen die Open Source Anbieter, dass sich der Bund dem Potential dieses Trends nicht verschliessen wird und Open Source Alternativen in Zukunft bei IT-Beschaffungen ernsthaft prüft.

Kontakt

Sven Leser, Mitglied der Beschwerdeführer,
Vorstand Swiss Open Systems User Group /ch/open
+41 76 393 80 33, sven.leser@ch-open.ch

9 Kommentare

  • Das Problem ist nicht, dass die Entscheidung ein „ausländisches“ Unternehmen begünstigt. Die Entscheidung wäre genauso falsch, wenn es um einen proprietären Anbieter aus der Schweiz gehen würde.

  • Der ohnehin schwache Wettbewerb wird zusätzlich erschwert, und zwar zu Lasten der Steuerzahler und der lokalen Wirtschaft. Einer einzigen (ausländischen) Firma wird vom Bund ein faktisches Monopol zugestanden. Die Frage ist also nicht (nur), pro/contra MS oder ob MS Produkte geeignet sind oder nicht. Denn wenn im voraus klar ist, dass nur ein Lieferant berücksichtigt wird, kann dieser sich entsprechend verhalten und könnte bspw. fast beliebig den Preis erhöhen oder den Service verschlechtern. Er hat ja nichts zu befürchten.

    Die öffentlichen Verwaltungen haben also ebenso wenig wie Microsoft zu befürchten. Beide können zurücklehnen und müssen nicht für den jeweiligen Zweck geeignete und günstige Lösung suchen. Sie können gerade so gut bei nicht plattformunabhängigen, veralteten und teuren Produkten bleiben.

  • Krasse Fehlleistung des Bundesgerichts – KMU sollten handeln!

    Der Gerichtsentscheid des Bundesgerichtes ist typisch für die Bevorzugung von Microsoftprodukten in allen Stufen der öffentlichen Verwaltung und auch, und das ist speziell schlimm, in den meisten Schulen!
    Dort sehe ich heute auch am meisten Handlungsbedarf und Erfolgsmöglichkeiten, vor allem für den ersten Schritt, nämlich Openoffice und GIMP!

    Der Bildungsserver gibt es eigentlich klar vor, der Schweizerische Lehrerverein schweigt aber weiter dazu beharrlich und berichtet über Projekte mit proprietärer Software!

    International arbeiten Millionen von Verwaltungsangestellten mit Produkten wie OpenOffice.org und GIMP, Firefox ist anerkannt, Thunderbird von Computerzeitschriften als sehr gut bewertet …

    Was nebst der politischen Arbeit auf Bundesebene wichtig ist, wäre die Information der KMU, die sehr viel Geld ausgeben für unnötige Software! Hier liegt Potential für einen nachhaltigen Stimmungsumschwung. Alle unsere KMU Kunden arbeiten heute mit Openoffice und GIMP und Sie sind sehr erstaunt, dass genau die Schulen das mit Ihren Steuergeldern oft immer noch nicht tun! Dort sollten OSS Experten und Politiker endlich Druck machen.
    Das ist entscheidend für den weiteren Verlauf!

    Nur wenn Schulen konsequent mit OSS arbeiten, werden wir auch den politischen Druck erhöhen können!
    Die Lehrkräfte sind die entscheidenden Multiplikatoren, genau deshalb hat der Bund via Kantone zu 99.9% jahrelang nur proprietäre Lehrkräfte Kaderausbildungen angeboten und vor allem Projekte unterstützt, die auf der Linie Software+Hardware Verkauf ankurbeln laufen!

    Zahlen tun das ja heute die Gemeinden!
    Mehr zur versteckten Ablastung und wie man in Schulen schrittweise beginnen kann auf http://www.userlearn.ch der Drehscheibe Bildung-für-alle

  • Ein Fehlurteil. Der Bund als Dienerin von Monopolisten und den reichsten Aktionären statt der Zivilgesellschaft und einheimischen KMUs.

  • Finde ich gut, denn es ist nichts idiotischer als spezielle Anwendungen und Schnittstellen erstellen zu lassen in Millionenhöhe, damit man dann auch arbeiten kann. Besser man bleibt bei M$ da weiss man wenigstens was man hat und das es funktioniert auch Behörden übergreifend.

    Siehe Kanton Solothurn der sich zum Glück wieder vom Tux und Open Office abgewendet hat.

    Open Office ist völlig unbrauchbar wenn es auf Office Dokumente trifft.

    In unserer Firma habe ich als System Admin alle Linux Server/Rechner durch Windows ersetzt . Jetzt kann man wieder effektiv und brauchbar arbeiten, ohne die ganzen Probleme die es gibt mit dem Mix aus Windows OS/Office und Linux OS/Open Office.

    Linux ist gut und recht für @home, aber nichts für das tägliche Business.

    just my 2 Cents

  • Inzwischen hat Wilhelm Tux, Kampagne für Freie Software, das Urteil analysiert und kommt zu einem positiveren Ergebnis:
    http://www.wilhelmtux.ch/index.phtml?PID=72&MID=1

    Die beschwerdeführenden Firmen haben zwar verloren, aber das Bundesgericht hat ansonsten das Naheliegende entschieden: Die Vergabestelle hat (logischerweise) eine grosse Befugnis bei ihren Beschaffungen. Wer aber nachweisen kann, dass es eine „funktional als auch wirtschaftlich […] angemessene Alternative“ gibt und diese auch anbietet, hat grundsätzlich Chancen. Sind diese Voraussetzungen gegeben, muss öffentlich ausgeschrieben werden.

    In diesem Fall hatten die beschwerdeführenden Firmen den Nachweis (noch) nicht erbracht und deshalb verloren. Das Bundesgericht sagt, die Beweislast liege nicht einseitig beim zuständigen Bundesamt BBL, das ja behauptete, es gebe keine Alternativen, weshalb eine freihändige Vergabe überhaupt möglich und legal war.

    Insofern verhalten positiv für die Zukunft von FOSS beim Bund/CH, wenn auch Illusionen fehl am Platz wären.

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