Interaktive Landkarte der Bundesaufträge

Themen: Bundesverwaltung, Öffentliche Beschaffung, Open Government Data, Presse


SonntagsZeitung vom 5. August 2012, Artikel von Julian Schmidli

Grossaufträge: Bern erhält 17-mal mehr als Genf. Politik und Experten sind empört

Bern Jeder dritte Grossauftrag des Bundes wird unter der Hand vergeben. Dies ergibt eine Analyse sämtlicher ausschreibungspflichtiger Aufträge des Bundes vom Jahr 2009 bis zum Frühling 2012, die dieser auf der Website simap.ch veröffentlicht hat. Gemäss WTO-Gesetz muss der Bund dort seit 2009 alle Aufträge über der Schwelle von 230 00 Franken öffentlich ausschreiben. Die Simap-Daten wurden vom ETH-Spin-off Datahouse AG aufbereitet und von der SonntagsZeitung in einem datenjournalistischen Projekt ausgewertet. Damit lassen sich erstmals klare Aussagen zum Beschaffungsverhalten des Bundes machen.

Demnach schanzte der Bund mindestens 522 Aufträge, ein Drittel der verzeichneten, direkt einer Firma zu, ohne dass andere mitbieten konnten. Es handelt sich um Aufträge im Wert von 850 Millionen Franken. Datahouse AG konnte diese Rechnung bestätigen. Für Experten ist dies eindeutig zu viel. «Mit dieser Praxis wird der erwünschte Wettbewerb für einen grossen Teil der Beschaffungen völlig ausgehebelt», sagt Hubert Stöckli, Beschaffungsrechtsexperte und Professor an der Uni Freiburg.

Freihändige Vergabe von Aufträgen über der WTO-Schwelle erlaubt das Gesetz nur in Ausnahmefällen, die klar definiert sind. Gemäss dem federführenden Bundesamt für Bauten und Logistik (BBL) hielten die Beschaffer beim grössten Teil der freihändigen Vergaben aufgrund «technischer oder künstlerischer Besonderheiten» jeweils nur eine Firma für fähig, den Auftrag auszuführen. Häufig hat der Bund auch «Folgeaufträge» oder Aufträge mit «zeitlicher Dringlichkeit» gleich durchgereicht.

Wenn eine übergangene Firma klagt, beurteilen die Gerichte solche Ausnahmebegründungen des Bundes in der Regel als illegal. «Zeitliche Dringlichkeit zum Beispiel ist oftmals selbst verschuldet, etwa wegen schlechter Planung», sagt der auf öffentliches Beschaffungsrecht spezialisierte Jurist Christoph Jäger. «In solchen Fällen ist es nicht legitim, Aufträge freihändig zu vergeben.» In der Praxis wehren sich unterlegene Firmen aber praktisch nie und lassen dem Bund so freie Hand.

Forderung: Kontrollstelle, die dem Bund auf die Finger schaut

«Ich kenne zahlreiche Fälle, in denen eine Beschwerde erwägt wurde», sagt Jurist Jäger. «Aber meistens lassen es die Firmen bleiben – aus Angst, negativ aufzufallen und bei der nächsten Vergabe im Nachteil zu sein.» Jäger ist überzeugt: «Das Kontrollinstrument der Konkurrenten-Beschwerde funktioniert so nicht.»

Christophe Darbellay, Präsident der Kommission für Wirtschaft und Abgaben WAK des Nationalrats, reicht angesichts der neuen Zahlen einen parlamentarischen Vorstoss ein. Er fordert eine Teilrevision des Beschaffungsgesetzes, die Umsetzung des ganzen WTO-Rechts des Bundes soll auf den Prüfstand (siehe Interview). Alle angefragten Beschaffungsexperten befürworten den Vorstoss, gehen jedoch noch weiter. «Mit dem Rechtsschutz alleine reicht es nicht», sagt Jurist Stöckli. Er fordert zusätzlich eine unabhängige Kontrollstelle, die dem Bund auf die Finger schaut.

Die Simap-Datenbank zeigt auch eine Reihe weiterer auffälliger Vergabemuster. So hat der Bund im Informatikbereich 40 Prozent der Aufträge unter der Hand vergeben. Die Hälfte aller IT-Aufträge ging in den Kanton Bern, von dieser wiederum die Hälfte an lediglich zehn Firmen – Aufträge im Wert von über 180 Millionen Franken. Vier dieser zehn meistbedienten Firmen kamen im Lauf der Beschaffungsskandale im Juli unter Filz- und Bestechungsverdacht.

Die Simap-Datenbank legt auch nahe, dass sich um Bern ein eigentliches Biotop von Firmen gebildet hat, die zu einem grossen Teil von Bundesgeldern leben. 430 von 1540 gezählten Grossaufträgen im Bereich Dienstleistung und Lieferung gingen nach Bern. Die Romandie, die 24 Prozent der Schweizer Wirtschaftsleistung trägt, erhielt nur 11 Prozent der Aufträge. Das BBL betont, dass das «wirtschaftlich günstigste Angebot» entscheide, nicht der Ort: «Die Gleichbehandlung verbietet die Bevorzugung wie auch die Diskriminierung von Anbietenden bestimmter Kantone.» Ausserdem erfolge die Wertschöpfung womöglich nicht in jenem Kanton, welcher die Zahlung erhält.

Berner Dominanz müsste untersucht werden

Für Experten ist damit aber nicht erklärt, warum Bern im Verhältnis zur kantonalen Wirtschaftsleistung doppelt so viele Aufträge erhält wie Zürich, 5-mal mehr als Basel und 17-mal mehr als Genf. «Wenn Firmen den Zuschlag aufgrund persönlicher Nähe bekommen, ist das höchst problematisch», sagt Jäger. Die Berner Dominanz müsste bei einer Evaluation der Beschaffungspraxis deshalb genauer untersucht werden.

Ein möglicher Grund für das schlechte Abschneiden der Romandie ist laut Beschaffungsrechtsexperte Martin Beyeler die Sprachbarriere: «Viele Aufträge werden auf Deutsch abgehandelt, was Westschweizer Firmen Probleme bereiten kann.» Genaue Zahlen zur Auftragsbeschaffung der letzten Jahre kündigt das BBL jetzt auf Mitte August an. Ob sie ein anderes Bild abgeben, hängt von der Vollständigkeit der Simap-Datenbank ab. Gemäss Experten landen nicht alle Vergaben ordnungsgemäss auf Simap – gerade bei Vergaben unter der Hand. Was nur ein weiterer Hinweis auf die Laisser-faire-Vergabepolitik des Bundes wäre.

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Veranstaltungshinweis

An der Fachkonferenz Öffentliche Beschaffung von IT (Tagungsprogramm, Anmeldung und weitere Informationen) am Dienstag, 11. September 2012 an der Universität Bern diskutieren Fachexperten aus Behörden und Wirtschaft die kritischen Punkte mit dem Ziel, sich fortzubilden und gemeinsam Lösungsansätze zu entwickeln. Die Konferenz wird veranstaltet durch das Informatiksteuerungsorgan Bund ISB, die Schweizerische Informatikkonferenz SIK, den SwissICT und die Swiss Open Systems User Group /ch/open.

Bisherige Vorstösse der Parlamentarischen Gruppe Digitale Nachhaltigkeit zu IT-Beschaffungen

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