Themen: Business, Kt. Basel-Stadt


Artikel im Open Source Special der Netzwoche 2010/12 (PDF) von Dr. Matthias Stürmer, Vorstandsmitglied der Swiss Open Systems User Group /ch/open

Obwohl Informatik durchaus Glaubenssache sein kann, ist der strategisch geplante Einsatz von Open-Source-Software ein langfristig vorteilhafter Entscheid. Dies hilft dann auch, das Thema Open Source wieder auf einer pragmatischen und lösungsorientierten Ebene zu diskutieren.

 

 

 

 

 

Positionierung ausgewählter Firmen und öffentlicher Institutionen auf der Open-Source-Adoption-Matrix
Positionierung ausgewählter Firmen und öffentlicher Institutionen auf der Open-Source-Adoption-Matrix

 

Sei es an Podiumsdiskussionen, in Reaktion auf politische Vorstösse oder bei Berichterstattungen in den Medien, Befürworter von freier Software beziehungsweise Open-Source-Software werden oft als «religiös» oder gar «fundamentalistisch» bezeichnet. Die Vermutung steht also im Raum: Ist Open Source eine Glaubensfrage? Es gibt berechtigte Gründe, dieser Frage zuzustimmen, benehmen sich doch einige Exponenten der Szene bewusst oder unbewusst als Prediger oder gar Religionsführer. Andererseits ist die entsprechende Terminologieübernahme aus der Religion in die Informatik nicht nur Open-Source-Befürwortern vorenthalten: Auch Apple, Microsoft und viele weitere Grossunternehmen haben ihre eigenen, hochqualifizierten «Technology Evangelists», die über die Produkte und Standards der eigenen Firma informieren und sie anpreisen. Überzeugungen zu vermitteln und Meinungen zu prägen scheinen in der Informatik zentral zu sein.

Vier Argumente, dass Informatik Glaubenssache ist

Dies ist auch nicht weiter erstaunlich, bedenkt man die grosse Tragweite einer grundlegenden Plattformwahl und den darauf folgenden «Sunk Costs». Entscheidet sich nach (hoffentlich) eingehender Evaluation eine Organisation endlich für ein bestimmtes Produkt, einen Softwarelieferanten, eine Entwicklungssprache etc., dann tut sie gut daran, alle Mitarbeitenden intensiv auf der neuen Plattform zu schulen, die neue Software eng in die Businessprozesse zu integrieren, passende Komplementärprodukte zu beschaffen und weitere Zusatzinvestitionen in die Plattform zu tätigen, damit die Neubeschaffung dereinst auch tatsächlich als Erfolg gewertet werden kann.

Wie aber ist dieser Erfolg definiert und wie stellt man ihn fest? Die Unschärfe der Erfolgsmessung von IT-Projekten stellt ein zweiter Grund dar, weshalb Technologieentscheide oft Glaubenssache sind. Informatikausgaben sind stets langfristige Investitionen, deren direkten und indirekten Nutzen nur schwer gemessen werden kann. Zudem spielen neben den technischen Aspekten oft die organisatorischen Herausforderungen eine noch viel grössere Rolle in Bezug auf den Erfolg eines Informatikprojekts. So bleibt der Einfluss eines Plattformentscheides auf den Gesamterfolg von solchen Projekten meist ungewiss.

Ein dritter Grund, weshalb Informationstechnologien oft Glaubenskriegen ausgesetzt sind, ist wohl die Tatsache, dass in gewissen Sektoren mehrere ähnliche Lösungen zur Verfügung stehen. Schaut man beispielsweise die heutige CMS-Landschaft an, so können erfahrene Softwareentwickler mit «ihrem CMS» wohl jede technische Herausforderung lösen. Dasselbe gilt für moderne Programmiersprachen oder gar bei der beliebten Microsoft-Office- versus Open-Office.org-Diskussion.

Und ein vierter Grund ist schliesslich, dass wir alle emotionalen Wesen sind und gewisse Technologien und die Menschen und Organisationen dahinter mehr oder eben weniger mögen. Nicht von ungefähr drücken beispielsweise viele Apple-Fans ihren Gadgets wohl höhere Gefühle aus als den eigenen Ehepartnern gegenüber. Selbstverständlich wissen das auch die jeweiligen Firmen, schliesslich geben sie jährlich mehrere Milliarden aus für Marketing und Werbung – oft doppelt so viel wie für die Forschung und Entwicklung der eigentlichen Technologien. Dennoch werden die emotionalen Faktoren bei gewöhnlichen Informatikprojekten zuweilen auf fatale Weise vernachlässigt.

Definition von Open-Source-Software

Warum sollte nun ausgerechnet Open Source keine Glaubenssache sein? Dazu bedarf es zuerst einem klaren Verständnis, was Open Source ist – und was nicht. Open Source im eigentlichen Sinn bezeichnet ausschliesslich die Lizenzart einer Software. Zurzeit sind es exakt 66 Lizenzen, die von der Open-Source-Initiative (OSI) die Open-Source-Definition erfüllen. Wichtig zu wissen ist dabei, dass meist zwischen zwei Sorten von Lizenzen unterschieden wird, der GNU General Public License (GPL) und allen anderen Open-Source-Lizenzen. Die GPL ist die seit jeher am häufigsten eingesetzte Open-Source-Lizenz. Sie wurde 1989 von Richard Stallman, dem Gründer der Free Software Foundation, geschrieben und ist unterdessen in der dritten Version erschienen. Kennzeichnend an dieser spezifischen Lizenz ist der sogenannte Copyleft-Mechanismus, der verursacht, dass beim Softwarevertrieb sämtliche Verbesserungen einer GPL-lizenzierten Software wiederum unter der GPL veröffentlicht werden müssen. Dieser Effekt wird auch als «viral» bezeichnet, da er alle auf einer GPL-lizenzierten Software eingebundenen Erweiterungen ebenfalls zur Veröffentlichung unter der GPL zwingt. Anders verhält es sich bei den meisten anderen Open-Source-Lizenzen wie der Apache License, der Berkeley-Software-Distribution-Lizenz oder der Mozilla Public License. Auch bei derartig lizenzierten Produkten ist der Quellcode einsehbar, er kann jedoch mehr oder weniger ungehindert in proprietäre Produkte eingebaut werden.

Ob die GPL oder Open Source generell nun gut oder schlecht ist, ist keine Glaubensfrage, sondern die freie Entscheidung des Urhebers der Software. Manche Urheber wählen sogar zwei unterschiedliche Lizenzen, unter denen sie ihre Software veröffentlichen. Das wird dann Dual Licensing genannt und kommt bei MySQL, OpenOffice.org, Alfresco und vielen anderen Produkten zu Anwendung. Wichtig ist auch zu erkennen, dass Open Source kein Geschäftsmodell, keine spezifische Technologie oder keine spezielle Softwareplattform ist. Es handelt sich lediglich um die Regelungen der Softwarelizenz. Damit stellt die Beschaffung von Open-Source-Software auch keine Diskriminierung gegenüber bestimmten Anbietern oder Produkten dar. Denn faktisch kann jeder Besitzer von Software, sei es nun eine Firma oder eine öffentliche Institution, von heute auf morgen seine bisher proprietäre Software unter einer Open-Source-Lizenz veröffentlichen und hat damit ein Stück Open-Source-Software geschaffen.

Bloss, dieser Entscheid ist verständlicherweise nicht immer im Interesse des Softwareherstellers. Denn wie die Open-Source-Definition der OSI in Paragraph 1 besagt, kann die Software von nun an kostenlos kopiert werden, es darf keine Lizenzgebühr mehr für die Software verlangt werden – typischerweise der Kernbestandteil des Geschäftsmodells mit proprietärer Software. Aber Open-Source-Software ist weit mehr als Gratis-Software: Die folgenden Paragraphen der Open-Source-Definition beschreiben, dass der vollständige Quellcode der Software verfügbar sein muss und Änderungen am Source Code vorgenommen werden dürfen. Der Bezügerin der Software werden somit vorteilhafte Optionen gewährt, unter denen sie die Software nutzen und weiterentwickeln kann. Oder um die Terminologie der Free Software Foundation aufzunehmen: Die Anwenderin erhält die Freiheit, die besagte Software zu benutzen, zu studieren, weiterzugeben und zu verändern.

Warum Open Source keine Glaubensfrage ist

Nun angenommen, es stehen zwei Softwarelösungen zur Auswahl, die dieselben Funktionen erfüllen, die gleichen Sicherheits- und Performance-Bedingungen erfüllen, auch beide auf gleiche Weise bedient werden und für beide potente Organisationen Garantien und Wartung anbieten. Der einzige Unterschied besteht in der Lizenz der zwei Produkte. Die eine Software bleibt verschlossen im Besitz eines Softwareherstellers, also proprietäre Software, die andere ist unter einer Open-Source-Lizenz veröffentlicht.

Abgeleitet durch die vorherigen Erläuterungen wird offensichtlich, dass der Entscheid für die Open-Source-Variante faktisch vorteilhafter ist. Abgesehen vom Produkt oder Hersteller bietet eine Open-Source-Lizenz objektiv mehr Optionen als die Lizenzen proprietärer Produkte. Diese Wahl ist keine Glaubenssache, es eine rationale Entscheidung für das Open-Source-Produkt, weil es die besseren Lizenzbedingungen anbietet.

Subjektiv ist und bleibt die Diskussion bei den Eigenschaften des Produkts, da es ja bekanntlich keine absolut identischen Open-Source-Alternativen zu proprietären Produkten gibt. Spätestens bei der Usability scheiden sich die Geister garantiert. Noch stärker polarisiert die jeweilige Herstellerin, die hinter der Software steht. Ist die Firma tatsächlich so wirtschaftlich erfolgreich, kompetent und zuverlässig, wie sie sich anpreist? Und weiter werden heutige Systeme selten auf der grünen Wiese gebaut, sondern stehen in Abhängigkeiten zu etablierten, oftmals proprietären Plattformen, die die Integration von Open-Source-Technologien erschweren. Dies können alles Gründe sein, weshalb gegen den Einsatz von Open Source entschieden wird – oftmals leider zu Recht, weil aktuelle Sachzwänge keine Wahl zulassen.

Open-Source-Strategie als Ausweg aus der Sackgasse

Als Weg aus diesem Korsett bietet sich die Festlegung und konsequente Umsetzung einer Open-Source-Strategie an. Damit soll in Zukunft möglich werden, was heute nicht realistisch ist: die freie Technologiewahl. Ausgangslage für die Strategieformulierung bildet die Analyse der Ist-Situation beispielsweise mittels der Positionierung auf der Open-Source-Adoption-Matrix. Dabei kennzeichnet die vertikale Achse die Umsetzung des Open Source Gedankens und die horizontale Achse den strategischen Stellenwert von Software in der Organisation. Auf dieser Fläche können nun anhand zu definierender Kriterien Firmen und öffentliche Institutionen beziehungsweise deren Softwarelösungen positioniert werden. In einem zweiten Schritt werden die Soll-Positionen festgelegt, wo sich die Firmen beziehungsweise ihre jeweiligen Softwareplattformen in 5 bis 10 Jahren befinden sollen. Und im dritten Schritt wird anhand der Open-Source-Strategie definiert, wie diese Veränderung langfristig erreicht werden kann.

Die Formulierung derartiger Open-Source-Strategien ist bei zahlreichen Organisationen im Gange. So hat der Kanton Basel-Stadt im Februar 2010 sein Strategiepapier abgesegnet und veröffentlicht, sodass damit ein gutes Beispiel frei verfügbar ist. Und jüngst hat Educa.ch, das Schweizer Medieninstitut für Bildung und Kultur, sich deutlich für den verstärkten Einsatz von Open-Source-Software an Schulen ausgesprochen. Gleichzeitig setzen auch Firmen wie Manor oder die Mobiliar-Versicherung strategisch auf Open-Source-Software und haben ihre entsprechenden Strategien an der letzten Open Expo im März 2010 vorgestellt.

Diese Entwicklungen aus der Privatwirtschaft und öffentlichen Hand zeigen auf, dass die Vorteile des langfristigen, gut geplanten Einsatzes von Open-Source-Software erkannt wurden. Und sie helfen auch mit, die zuweilen religiös angehauchte Diskussion rund um Open-Source-Software wieder auf eine pragmatische, lösungsorientierte Ebene herunterzuholen – dort wo die Informatik ja immer schon den Anspruch hatte zu sein.

3 Kommentare

  • Sehr gut beschrieben, Glaubenskriege haben immer etwas kompromissloses und somit kommt man nur ans Ziel, wenn man genug mächtig ist!
    Wie lange schauen Fachleute zu?- Educa hat scheinbar reagiert, aber eben nur scheinbar!
    In 1-2 Jahren wird man sich, wie bei der UBS die Frage stellen, wie war das möglich! Too big to change?!-

    Das musste Herr Bader, Aio Kanton Solothurn, mit der Freistellung diese Woche schmerzlich erleben. Er setzte wohl zu stark auf Linux und ging, gemäss SZ (die den Glauben Microsoft hat 😉 keine Kompromisse ein.
    Freistellung ab Ende Juni, für 1 Jahr den Lohn, mehr wohl in der Presse hoffentlich beide Seiten!

    Statt LinuxanhängerInnen als Fanatiker zu bezeichnen und Glaubenskriege anzudichten, würden die VertreterInnen von Mac, Microsoft und Adobe besser vor Ihrer eigenen Haustüre wischen!
    Was uns „gemässigte Openoffice und GIMP Fans nervt, ist die Konzentration auf die Probleme der Betriebssysteme und derweil gehen von den hunderten von guten Opensource Software Lösungen die 2 wichtigsten vergessen Openoffice und GIMP!

    So schlimm und banal es für „OSS – Fanatiker“ ist, aus meiner Schulung bei KMU weiss ich, das Betriebssystem interessiert nur ein kleiner Teil, leider!-

    Setzen Sie dort an, wo es weh tut, beim Portemonaie. Das heisst, Firmen die MS/Adobe weiterhin noch einsetzen wollen/müssen, sollen auch wirklich restlos ALLES selber bezahlen. Dann sinkt der Marktanteil propietärer Software automatisch rapide und rascher!

    SteuerzahlerInnen, Eltern und KMU helfen so nicht mehr, ein in Schulen, Familien und Kleinstunternehmen unnötiges Produkt querzusubventionieren!

    Will man OSS umsetzen, dann muss man zwingend die markzverzerrenden Förderungen von proprietärer Software stoppen, zuerst beim Bund und gleichzeitig bei den Kantonen.
    Praktische Beispiel: Obwohl allen Fachleuten klar ist, dass Openoffice/Gimp die richtigen Programme sind, haben es nur der Kanton Genf und einzelne Städte konseqent in den Schulen umgesetzt.
    Andere Kantone bieten weiterhin munter subentionierte Weiterbildungskurse an, statt endlich zu informieren!

    Der LCH schaut weiterhin weg, auf dem Bildungsserver findet man nichts, ausser man weiss wo! Google „Opensource Educa“ bringt es an den Tag!

    Müssen wir wirklich wieder einen eingschriebenen Brief senden, damit der Menupunkt Opensouce und Link endlich auftaucht! (war auch bei den OSS-Unterrichtsportalen so!)

    Gegner von Opensource werden das wieder als Glaubenskrieg abtun!

    Es ist aber immer dasselbe, educa tut so als ob und schindet damit wieder Zeit.
    Glaubenskrieg?- Nein, aber Verletzung der Infopflichten und klare Begünstigung proprietärer Software!-
    Aufschalten ja, aber versteckt! Umsetzen nein, oder nur das, was man unbedingt muss, dieses Glaubensspiel ist eines Bildungservers unwürdig und der LCH schaut zu!

  • […] In my presentation I described the similarities and differences between open source software and Christianity. Obviously the relation between these two issues provoked an interesting discussion among the participants 😉 My conclusion was that while religion is a matter of faith and trust choosing open source licensed software has nothing to do with faith but is a rational decision for beneficial license terms as described in the recent Netzwoche article “Open Source ist keine Glaubensfrage”. […]

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