Themen: Bundesverwaltung, Juristisches, Microsoft, Öffentliche Beschaffung


MEDIENMITTEILUNG DER BESCHWERDEFÜHRER

Bern, 6. Juli 2010

Das Bundesverwaltungsgericht lehnt die Legitimation der Beschwerde von Open Source Dienstleistungsfirmen ab, die vor über einem Jahr gegen die nicht öffentlich ausgeschriebene 42-Millionen-Vergabe des Bundes an Microsoft geklagt hatten. Das Präsidium der Parlamentarischen Gruppe Digitale Nachhaltigkeit ist besorgt über dieses Zeichen gegen den freien Wettbewerb.

Mit seinem Entscheid lehnt es das Bundesverwaltungsgericht ab überhaupt zu prüfen, ob die Bundesverwaltung berechtigt war, den Auftrag ohne Ausschreibung zu vergeben. Diese Frage wurde nicht beurteilt. Die Beschwerdeführer hatten geltend gemacht, dass der ohne Ausschreibung an Microsoft erteilte 42-Millionen-Auftrag für Betriebssystem und Anwendersoftware hätte öffentlich ausgeschrieben werden müssen.

Der heute an einer öffentlichen Urteilsberatung gefällte Mehrheitsentscheid, bei welchem der referierende Richter überstimmt wurde, könnte den Rechtsschutz gegen ungerechtfertigte Freihandvergaben von Softwareaufträgen in sehr weitem Umfang in Frage stellen. Die für Nichteintreten votierenden Richter hatten argumentiert, die Bundesverwaltung könne frei bestimmen, ob sie die Pflege des bestehenden Software-Systems durch Support Updates und Erweiterungen oder neue Software beschaffen wolle. Auch wenn die schriftliche Urteilsbegründung noch abzuwarten ist, muss befürchtet werden, dass dadurch künftig einmal eingeführte Software eines bestimmten Herstellers anschliessend auf unbeschränkte Zeit und in beliebigem Umfang durch neue Produktversionen ersetzt und auch durch neue Produkte ergänzt werden kann. Vorliegend wurde beispielsweise die bestehende Softwarepalette in grossem Umfang durch Sharepoint-Lizenzen ergänzt. Dies soll laut einer Richterin sogar unabhängig davon gelten, ob die vorhandene Software rechtlich korrekt beschafft wurde, was die Beschwerdeführer in diesem Verfahren bestritten haben. In allen diesen Fällen werden Anbieter von konkurrenzierenden Softwareprodukten künftig gar nicht mehr die Möglichkeit haben, eine Freihandvergabe anzufechten. Erfolglos wies der referierende Richter Marc Steiner auf die drastischen Konsequenzen hin: „Mit diesem Entscheid wird der Markt auf radikalste Weise auf einen einzigen Anbieter eingeschränkt.“

Des weiteren deuteten die Voten der Richtermehrheit daraufhin, dass die Microsoft Produktpalette grundsätzlich als „Technologie“ eingestuft wurde und nicht als Produkt, das technische Funktionen (z.B. grafische Benutzeroberfläche, E-Mail Server, usw.) implementiert. Mit dieser diskussionswürdigen Definition war es denn für das Gericht ein Leichtes zu zeigen, dass die Beschwerdeführer offensichtlich weder Microsoft Produkte-Wartung noch -Lizenzen angeboten hätten – sie konnten ja auch gar nicht, da Microsoft faktisch das Monopol auf entsprechende Enterprise Agreements hat – und damit als nicht zur Beschwerde legitimiert galten.

Das Bundesverwaltungsgericht zementiert nun mit seinem Entscheid die Vormachtstellung von Microsoft und gibt dem Bund praktisch einen Freipass für beliebige freihändige Vergaben von Software-Beschaffungen. Je nach schriftlicher Begründung des Urteils besteht die Gefahr, dass die gesetzlich ausdrücklich geregelten Voraussetzungen für freihändige Vergaben nicht mehr auf dem Rechtsweg überprüft werden können. Ein Interesse an der Überprüfung haben selbstverständlich nur die Anbieter von Konkurrenzprodukten. Deren Recht zur Anfechtung einer Freihandvergabe wäre aber künftig ausgeschlossen. Damit folgt aus dem Entscheid des Bundesverwaltungsgerichts eine ausserordentlich schwerwiegende Einschränkung des Rechtsschutzes im Vergaberecht.

Zusammenfassend konnte somit die Bundesverwaltung heute mittels der Legitimationsfrage erfolgreich verhindern, dass auf die eigentlich interessierenden materiellen Fragen eingegangen werden kann. Ungelöst bleibt die exzessive Anwendung von freihändigen Vergaben in der Informatikbeschaffung, welche stets die strukturelle Benachteiligung von Open Source Lösungen zementiert.

Die Beschwerdeführer werden die Anfechtung dieses Gerichtsentscheids prüfen, denn die Folgen dieses Entscheids könnten für den Schweizer Informatik-Markt gravierend sein. Obwohl die schriftliche Begründung noch abgewartet werden muss, kann aufgrund der heutigen Voten der Richter davon ausgegangen werden, dass künftig eine bestehende Microsoft-Systemlandschaft (oder SAP, Oracle etc.) als Blanko-Cheque nicht nur für künftige Wartungsmandate, sondern auch für unlimitierte Erweiterungen und Lizenzzukäufe verwendet werden kann – und dies auch auf unbeschränkte Zeit. Selbst vergaberechtswidrige Beschaffungen würden dadurch belohnt, dass in der Folge das bestehende System freihändig – also ohne Ausschreibung – erweitert werden könnte und in der Regel niemand mehr ein Recht hätte, dies gerichtlich prüfen zu lassen. Dies würde Tür und Tor für eine willkürliche Informatik-Beschaffung öffnen, das Submissionsrecht der Schweizer Informatikbeschaffung wäre faktisch ausgehebelt. Wird der Entscheid aufrecht erhalten, würde die bereits heute bei den Informatikdienstleistern sprichwörtliche Regel „einmal im Bund, immer im Bund“ juristisch verankert und innovative Firmen mit neuartigen Produktalternativen hätten kaum mehr eine Chance sich dem Wettbewerb überhaupt zu stellen.

Dies macht auch Edith Graf-Litscher besorgt, die Co-Präsidentin der Parlamentarischen Gruppe Digitale Nachhaltigkeit: „Mit diesem Entscheid verhindert das Bundesverwaltungsgericht aktiv den freien Wettbewerb im Schweizer Informatik-Markt und unterbindet das öffentliche Beschaffungsrecht. Dass damit die freihändigen Informatik-Beschaffungen noch zunehmen, ist eine falsche Entwicklung, der wir in der Politik entgegen treten werden.“ Und Co-Präsident Christian Wasserfallen fügt an: „Während viele Kantone und Unternehmen auf strategische Projekte mit Open Source Software setzen, stellt sich der Bund gegen Wettbewerb und Innovation. Das ist rechtlich vielleicht knapp korrekt, aber wünschenswert sind Anbieterabhängigkeit, Stillstand und Intransparenz auf keinen Fall. Somit werden wir uns in Zukunft noch stärker auf politischem Weg für eine digital nachhaltige Informatik beim Bund einsetzen.“

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