Themen: Bundesverwaltung, Öffentliche Beschaffung, Presse


In der heutigen Ausgabe von Tagesanzeiger und Der Bund äussert sich Co-Präsidentin der Parlamentarischen Gruppe Digitale Nachhaltigkeit Edith Graf-Litscher kritisch zu den Vorgängen in der Eidgenössischen Steuerverwaltung:

Wie verbreitet sind Tricksereien bei der Vergabe von Aufträgen?

Von Claudia Blumer. 26.06.2012

Der freigestellte Direktor der Steuerverwaltung, Urs Ursprung, hat laut einer Untersuchung zu den Korruptions-Vorwürfen Stellung genommen. Inzwischen richtet sich der Blick auf andere Bundeseinheiten.

Das Know-how zur Umgehung der Vorschriften habe der Steuerverwaltung gefehlt, sagte der Direktor Urs Ursprung, den Finanzministerin Eveline Widmer-Schlumpf vor einer Woche freigestellt hatte, laut einer Administrativuntersuchung zum Informatikprojekt Insieme. Er meinte nicht etwa das Know-how zur Einhaltung der Regeln – sondern das Know-how «im Sinne der Kenntnis der Tricks zur Umgehung beschaffungsrechtlicher Vorgaben».

Die mutmasslichen Gesetzesverstösse bei Insieme bilden den schwersten Fall einer ganzen Reihe von Unregelmässigkeiten im Bundesbeschaffungswesen, die in den vergangenen Wochen publik geworden sind.

Überwachung gefordert

Politiker und Experten reagieren unterschiedlich auf die Aussage von Urs Ursprung. «Dreist» oder «unglaublich», sagen die einen. Andere sagen, er sei wenigstens ehrlich. Das Beschaffungsrecht sei schwer umzusetzen, und andere Länder würden sich erwiesenermassen um die WTO-Vorgaben drücken.

Die Dunkelziffer der Widerhandlungen gegen die Beschaffungsgesetzgebung übersteige die Zahl der publik gewordenen Fälle, schätzt Thomas Cottier, Direktor am World Trade Institute der Universität Bern. Einen der Gründe für die Umgehung der Regeln sieht er in der geringen Motivation der unterlegenen Anbieter, Beschwerde einzureichen. Sie scheuen den Aufwand eines Prozesses und erhoffen sich den Zuschlag stattdessen beim nächsten Mal. «Der Rechtsschutz genügt nicht, die Einhaltung der Regeln muss zusätzlich überwacht werden.»

Das Problem mit der Ausbildung

Arthur Loepfe (CVP), ehemaliger Präsident der Finanzdelegation beider Räte, weist auf die Komplexität der Beschaffungsregeln hin. Es fehle an Ausbildung beim Bund, sagt er. Die Ausbildung sei tatsächlich ein Problem, bekräftigt ein juristischer Experte. Einige Angehörige der Bundesverwaltung hätten sich um das bestehende Kursangebot foutiert, das die zentralen Beschaffungsstellen, Armasuisse und Bundesamt für Bauten und Logistik, Ende der Neunzigerjahre aufgebaut hatten. Sie seien nicht daran interessiert gewesen, sich die Kompetenz zur Begleitung von WTO-Verfahren anzueignen. «Jetzt haben wir das Desaster. Ich denke, die Zeit des Umsetzungswiderstands ist vorbei.»

Fachleute bezeichnen die Umsetzung der Beschaffungsregeln als «sehr schwierig». Martin Beyeler, Anwalt und Beschaffungsrechtsexperte, bestätigt dies teilweise. Ein Zielkonflikt entstehe insbesondere dann, wenn ein Projekt möglichst schnell umgesetzt werden soll. Ausnahmen sind möglich: Wenn ein Felssturz die Gotthard-Bahnlinie verschüttet, verlangt niemand eine Ausschreibung der Aufräumarbeiten. Letztlich befinde sich jeder politische Auftrag im Spannungsfeld verschiedener Ansprüche, sagt Beyeler. Für internationale Standards bei der Auftragsvergabe sprechen die effiziente Verwendung finanzieller Mittel, Transparenz und die Wettbewerbsneutralität des Staates. Bezahlt der Staat für einen Auftrag mehr als nötig, verzerrt er den Wettbewerb.

Bundesrat hält sich zurück

Es stehe daher nicht zur Debatte, die Vorgaben zu lockern, sagt Nationalrätin Edith Graf-Litscher (SP, TG). Der Co-Präsidentin der parlamentarischen Gruppe «Digitale Nachhaltigkeit» ist aufgefallen, dass der IT-Bereich besonders anfällig ist für die Umgehung der Beschaffungsregeln. So beanstandete sie Ende 2011, dass das Aussendepartement in einer WTO-Ausschreibung ausschliesslich zwei Produkte – beide von Microsoft – zugelassen hatte. Solche herstellerspezifischen Eingrenzungen sind nicht erlaubt. Bei Informatikaufträgen ist die Departementsführung auf die Angaben ihrer Fachleute angewiesen. Zudem kauft der Bund ein ganzes System ein und bindet sich damit für lange Zeit an einen Kunden. Und er muss den Auftrag schon bei der Ausschreibung spezifizieren. Dies sehen Edith Graf-Litscher und Thomas Cottier als Grund dafür, dass die Informatikbranche überdurschnittlich von Schummeleien betroffen ist.

Graf-Litscher erwartet vom Bundesrat jetzt Taten. Erkenntnisse aus den Missbrauchsfällen müssten in die Revision des Beschaffungsgesetzes einfliessen, sagt sie. Damit hat es der Bundesrat allerdings nicht eilig. Auf die Frage, ob er die Revision demnächst an die Hand nehme, heisst es beim Finanzdepartement schlichtweg «nein». Auch das departementsübergreifende Beschaffungscontrolling, das er einst einführen wollte, lehnt der Bundesrat ab. Er wollte hingegen die Vorschriften lockern und den Beschwerden in der Regel die aufschiebende Wirkung entziehen. Rechtsexperten liefen dagegen Sturm. Das Parlament lehnte die Massnahme ab.

3 Kommentare

  • Wir finden solche Unterschungen dringend nötig.

    Was man unbedingt auch untersuchen müsste, was der millionenteure Bildungsserver educa.ch alles nicht leistet! Auch Nichtinformation und „Verstecken“ und nicht Umsetzen der Unesco Bildungsrichtlinien zu OSS und OER sind skandalös.

    Nach einem kurzen Intermezzo mit Richtlinien zu OSS, findet man nun quasi nichts mehr oder wenn man gezielt sucht, OSS Einträge von 2006 oder Einträge mit toten Links!

    Das Wichtige aber nicht, nämlich methodisch didaktische Hilfsmittel zu Libreoffice (findet die Suchmaschine gar nicht!) oder zu Gimp (veraltete und tote Links).

    Statt die OER Bildungsportale zugänglich und auffindbar via Menustruktur zu machen, versteckt man die wirklich brauchbare OER und OSS Portale ganz ganz weit unten!
    Somit wird das Ziel erreicht, die Nichtinformation!

    Die Situation ist eigentlich klar, wir wollen auf educa.ch einen Menupunkt OSS und OER!

    Dort sollte dann auch stehen, dass Schulen die Empfehlungen der Unesco endlich umsetzen sollen!
    Es gibt keinen Grund nicht mindestens im Unterricht Libreoffice und Gimp auf Linux, Mac oder Windows zu schulen! Demos und Schulungen der Lehrkräfte im Unterricht müssen zwingend mit Libreoffice erfolgen!

    Die SchülerInnen sollen lerne,n die beiden Standardprogramme Libroffice und Picasa/Gimp im Unterricht und zu Hause einzusetzen. Es geht um mehr als nur die „günstige Schulversion“ , es geht um das Unabhängigwerden für Jahrzehnte und dass SchülerInnen nicht neue Laptops kaufen müssen, wegen speicherhungrigen MS Programmen! (3x erlebt bei den eigenen Kindern!)

  • @Jürg Krämer
    Meine volle Zustimmung!
    Es wäre doch schon ein Fortschritt, wenn die offenen Dateiformate vorgeschrieben würden.
    MS-Kunden sind doch doppelt geprellt, sie kaufen überteurte Software und diese ist zu aktuellen Formaten gar nicht kompatibel! Auch die andere „Sekte“ verschaukelt ihre AnhängerInnen mit inkompatibler Software. Die Krönung sind wohl die MS-Quasimonopol-Programme auf einem Applecomputer…. und die Anhängerschaft fühlt sich soooo erhaben und trendy.
    Korruption im Beschaffungswesen ist kriminell. Verantwortung tragen heiss für die Zuständigen bezahle Ferien alias Suspendierung.

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