Gutachten zu den rechtlichen Voraussetzungen der Nutzung von Open Source Software in der öffentlichen Verwaltung

Themen: Juristisches, Kt. Bern, Open Source, OpenJustitia, Presse, Stadt Bern


MEDIENMITTEILUNG CH OPEN

Ein juristisches Gutachten zeigt, dass der Kanton Bern eigene Software ohne neue gesetzliche Grundlage veröffentlichen darf. Dadurch kann der politische Auftrag an den Kanton erfüllt werden, bei der Software-Nutzung und -Entwicklung Synergien mit anderen Gemeinwesen zu nutzen. CH Open begrüsst dieses wegweisende Gutachten, das auch anderen öffentlichen Stellen als Grundlage für die offizielle Freigabe von Open Source Software dienen kann. Publikation von öffentlich finanzierter Software-Entwicklung sollte so selbstverständlich werden wie die Freigabe von Open Government Data.

Das Berner Amt für Informatik und Organisation (KAIO) hat vergangene Woche ein „Gutachten zu den rechtlichen Voraussetzungen der Nutzung von Open Source Software in der öffentlichen Verwaltung insbesondere des Kantons Bern“ veröffentlicht. Das 131-seitige Rechtsgutachten wurde von Prof. Dr. Tomas Poledna, Prof. Dr. Simon Schlauri und MLaw Samuel Schweizer verfasst. Es zeigt auf, dass der Kanton Bern in den meisten Fällen ohne neue gesetzliche Grundlage eigene Software-Entwicklungen als Open Source Software veröffentlichen kann (siehe Auszüge aus dem Gutachten unten). Damit ist die rechtliche Situation geklärt, um die 2014 überwiesene Motion „Synergien beim Software-Einsatz im Kanton Bern nutzen“ umzusetzen. Damals stimmte der Grossrat mit 130 zu 0 für die Freigabe von Open Source Software durch die Kantonsverwaltung.

Behörden veröffentlichen heutzutage Open Source Software, um die Verbreitung von E-Government-Lösungen und die Digitalisierung der öffentlichen Verwaltung zu fördern sowie die Abhängigkeiten von IT-Herstellern zu reduzieren. Alleine auf der Open Source Entwicklerplattform GitHub haben schon über 600 öffentliche Stellen aus der ganzen Welt einen Account, über den sie Software unter Open Source Lizenzen veröffentlichen. Auch auf dem Joinup-Portal der Europäischen Kommission sind mehrere Tausend Open Source Anwendungen des öffentlichen Sektors publiziert.

So begrüsst der Schweizer Open Source Förderverein CH Open das Ergebnis des Gutachtens des Kantons Bern. Mit dieser juristischen Abklärung können nun sowohl der Kanton wie auch die Berner Gemeinden intern oder durch Externe entwickelte Fachanwendungen veröffentlichen. Gerade in der Stadt Bern soll in Kürze die Anwendung für die Verwaltung der Betreuungsgutscheine sowie die neue Beschaffungs-Applikation als Open Source Software freigegeben werden. Diesbezüglich schafft das Gutachten des Kantons Bern Rechtssicherheit und kann gleichzeitig auch für andere Kantone und für die Bundesverwaltung als Vorbild dienen.

Für die CH Open ist die Freigabe von Open Source Software durch öffentliche Stellen so selbstverständlich, wie Behörden heute ihre Daten auf Portalen für Open Government Data veröffentlichen. Auch Behörden-eigene Software wurde mit Steuergeldern entwickelt und sollte deshalb der Öffentlichkeit sowie IT-Hersteller frei zur Verfügung stehen um Innovation und Wettbewerb zu fördern.

Kontaktperson

Dr. Matthias Stürmer, Vorstandsmitglied CH Open
matthias.stuermer@ch-open.ch, +41 76 368 81 65

Auszug Gutachten (Seiten 2 und 3)

„Die vorliegende Studie zeigt auf, dass es in den meisten Fällen ohne spezifische rechtssatzmässige Grundlage zulässig ist, dass der Staat Software, die er selber nutzt, und über deren Urheberrecht er verfügt, der Öffentlichkeit unter einer OSS-Lizenz zur Verfügung stellt. (…)“

„Ist der Einsatz von OSS durch die öffentliche Hand (…) sachlich begründbar, wie er auch für einen Privaten begründbar wäre, so ist der Einsatz wettbewerbsneutral und aus dieser Sicht verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden.“

„Im Entscheid, Software selber zu entwickeln oder von Dritten zu beschaffen (make or buy),ist der Staat frei. Sofern der Staat Software für eigene Zwecke entwickelt, handelt es sich um Bedarfsverwaltung. Die gesetzliche Ermächtigung zur Beschaffung der notwendigen Mittel für eine öffentliche Aufgabe ist in der gesetzlichen Grundlage für diese öffentliche Aufgabe mit enthalten. Eine spezifische rechtssatzmässige Regelung kann entfallen.“

„Durch die Bereitstellung von für eigene Zwecke entwickelter OSS an private Dritte wird eine Leistung angeboten, was diese in die Nähe einer Nebentätigkeit der Verwaltung bzw. einer Randnutzung von Verwaltungsvermögen rückt. In diesen beiden Bereichen ist ebenfalls keine besondere rechtssatzmässige Grundlage erforderlich, so lange ein sachlicher Zusammenhang mit der gesetzlichen Aufgabe besteht. (…)“

„Die Bereitstellung von OSS dürfte kaum je als schwerer Eingriff in die Wirtschaftsfreiheit zu taxieren sein: OSS ist keine marktfähige Gratisleistung, die den privaten Konkurrenten das Wirtschaften verunmöglicht. Denn aus Sicht des Kunden sind nicht nur die Kosten des Codes (die bei OSS naturgemäss wegfallen) relevant, sondern die gesamten Kosten des Softwarebetriebs (inkl. Anpassungen und Integration, Support, Wartung, u.dgl.) und auch andere Wettbewerbsparameter, insbesondere Qualität, Funktionsumfang, Benutzerfreundlichkeit oder Nebendienstleistungen. OSS ist mit anderen Worten zwar quelloffen, aber nicht kostenlos. Entsprechend bleibt Privaten in der Praxis regelmässig Raum für wirtschaftliche Tätigkeit, und von einer faktischen Verdrängung [die als schwerer Eingriff zu taxieren wäre] kann nicht die Rede sein. (…)“

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