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Themen: Presse


Die aktuelle Ausgabe der Netzwoche (Nr. 20, 11. November 2009) enthält einen Artikel über das Konzept der Digitalen Nachhaltigkeit:

Digitale Nachhaltigkeit – ein Konzept mit Zukunft

Der nachhaltige Umgang ist nicht nur mit natürlichen Ressourcen notwendig, sondern wird künftig auch bei digitalen Gütern immer wichtiger. Welche Auswirkungen und Potentiale diese Entwicklung für Produzenten und Konsumenten insbesondere von Software mit sich bringt, wird im Folgenden beschrieben.

Nachhaltigkeit ist ein Trendbegriff, der heute vorwiegend im Zusammenhang mit ökologischen Themen wie Umweltschutz, Klimawandel und alternativen Energiequellen verwendet wird. Weshalb sollte Nachhaltigkeit nun auch bei immateriellen Gütern relevant sein, die nicht wie natürliche Ressourcen begrenzt verfügbar sind und aufgebraucht werden können? Und welchen Zusammenhang hat dieser Nachhaltigkeits-Aspekt mit erfolgreichen Geschäftsmodellen von Software-Unternehmen? Diese und weitere Fragen werden im folgenden Artikel beantwortet.

Der Begriff der Nachhaltigkeit

Wer das Konzept der Digitalen Nachhaltigkeit verstehen will, muss sich erst mal mit der Definition von „Nachhaltigkeit“ auseinandersetzen. Dieser Begriff wurde bereits im Jahre 1713 durch Hans Carl von Carlowitz im Zusammenhang mit der Forstwirtschaft verwendet. Damals wie auch heute beschreibt das Konzept der Nachhaltigkeit die Nutzung eines regenerierbaren Systems, so dass dieses in seinen wesentlichen Eigenschaften erhalten bleibt und sein Bestand auf natürliche Weise nachwachsen kann. Die begrenzte Verfügbarkeit von Ressourcen der Natur stellt somit die entscheidende Eigenschaft dar, dass ein behutsames Aufbrauchen überhaupt erst notwendig ist. Auch die mit dem Begriff der ökologische Nachhaltigkeit verwandten Konzepte wie soziale oder ökonomische Nachhaltigkeit gehen von so genannter Rivalität der Ressourcen aus, also dass diese nicht beliebig oft verwendet werden können.

Herausforderungen unserer Wissensgesellschaft

Dem gegenüber behandelt die Digitale Nachhaltigkeit ausschliesslich immaterielle Güter, genauer noch Wissensgüter. Dies ausgehend von der Idee, dass wir heute in einer Wissensgesellschaft leben, in der die Verfügbarkeit von Wissen ein entscheidender Überlebensfaktor sowohl für Menschen wie auch für Organisationen darstellt. Für ein kleines, Rohstoff-armes Binnenland wie die Schweiz ist Wissen von besonders grosser volkswirtschaftlicher Bedeutung: Bildung der Bevölkerung, Innovationskraft der Unternehmen, Effizienz in der öffentlichen Verwaltung, Exzellenz in der Wissenschaft – fast alle Gesellschaftsbereiche setzen die langfristige und offene Verfügbarkeit von Wissensgütern voraus. Im Informationszeitalter eröffnet die fortschreitende Digitalisierung für unser Land grosse Potentiale, die zur Herstellung und Verbreitung von Wissensgütern erschlossen werden können und so dem Nutzen der gesamten Volkswirtschaft dienen können.

Doch neue Technologien schaffen auch neue Herausforderungen, beispielsweise in der langfristigen Weiterentwicklung von Software unabhängig von einzelnen Konzernen oder in der sicheren Archivierung digitaler Daten. Nachhaltige Lösungen wären gefragt, aktuelle Beispiele zeigen jedoch, dass diese alles andere als selbstverständlich sind. Software-Entwicklungen bleiben verschlossen und bewusst inkompatibel, mächtige Firmen-Monopole werden durch Investitionen von öffentlichen Institutionen weiter gestärkt und mit öffentlichen Geldern erstellte Inhalte und Forschungsergebnisse sind nur gegen erneute Bezahlung verfügbar.

Das Konzept der Digitalen Nachhaltigkeit

In diesem Spannungsfeld von gesellschaftlichen und unternehmerischen Interessen setzt das Konzept der Digitalen Nachhaltigkeit an. Obwohl heute noch keine breit abgestützte Definition dieses Begriffs existiert und er – wenn überhaupt – bloss im Zusammenhang mit Datenspeicherungen in Archiven verwendet wird, zeigen die zuvor beschriebenen Beispiele die Notwendigkeit der Benennung dieser Thematik. Digitale Güter können anders als natürliche Ressourcen beliebig oft verwendet und vervielfältigt werden können, ohne dass sie an Wert verlieren, das heisst sie sind nicht-rivalisierend. Jedoch zeigt die klassische Unterscheidung auf der Abbildung dargestellt, dass digitale Güter ohne weiteres ausschliessbar sein können. Während dem sich Klubgüter in der digitalen Welt als proprietäre Software oder mittels Digital Rights Management (DRM) geschützte Medien manifestieren, sind Open Source Software oder unter Creative Commons veröffentlichte Musik Beispiele von öffentlichen Gütern. Die freie Verwendung von digitalen Gütern stellt somit ein entscheidender Faktor dar, der die nachhaltige Nutzung von Wissensgütern beeinflusst.

Güterklassen unterteilt nach Ausschliessbarkeit und Rivalität
Güterklassen unterteilt nach Ausschliessbarkeit und Rivalität

Eine weitere Eigenschaft stellt die freie Veränderung oder Weiterentwicklung von digitalen Gütern dar. Erst wenn der Quellcode einer Software für alle frei verfügbar und veränderbar ist, kann dieses digitale Gut auch von Externen verbessert werden. Bildet sich wie beispielsweise beim Linux Kernel eine aktive und heterogene Community von Freiwilligen und Unternehmen, welche die Software kontinuierlich weiterentwickeln, ist der nachhaltige Nutzen für Leistungserbringer und Leistungsbezüger gewährleistet.

Open Source alleine reicht nicht aus

Zu beachten gilt, dass die Open Source Lizenz eine notwendige aber nicht hinreichende Bedingung ist. So stellen besonders die vielseitige und gesunde Entwicklergemeinschaft und die intelligente Koordination des Open Source Projekts – sei es durch Einzelpersonen oder Firmen – entscheidende Faktoren für die langfristige Weiterentwicklung der Software dar. Ähnliches ist bei Portalen von freien Inhalten beobachtbar. Die Beiträge auf Wikipedia stehen zwar unter einer freien Lizenz, der Erfolg von Wikipedia begründet sich aber vor allem auf der aktiven Autorenschaft, die auf einfache Weise Inhalte erstellen und verändern kann. Das geschickte Management von derartigen Projekten bildet somit eine wichtige Grundlage für deren Erfolg.

Nutzen der Digitalen Nachhaltigkeit für Konsumierende

Die Vorteile für die Empfänger digital nachhaltiger Produkte sind offensichtlich. Einerseits können langfristig Kosten gespart werden durch Wegfall von Lizenzgebühren, andererseits sinkt die Abhängigkeit von Dienstleistern und steigt somit die Verhandlungsposition bei der Beschaffung, was wiederum die Preise senkt. Die Volkswirtschaften profitieren von einem intensiveren Wettbewerb durch niedrigere Markt-Eintrittsbarrieren für Unternehmen, Monopolstellungen werden aufgeweicht. Daraus folgt, dass sich Firmen durch tatsächliche qualitative Unterschiede ihrer Leistungen differenzieren müssen anstelle die Abhängigkeit ihrer Kunden auszunutzen.

Für die Gesellschaft bedeutet dies, dass sie im ökonomischen Sinne von den positiven volkswirtschaftlichen Auswirkungen profitiert, wenn Marktverzerrungen verringert und die angebotenen Produkte und Dienstleistungen qualitativ verbessert werden. Des weiteren entstehen wie oben beschrieben neue, öffentliche Güter, von denen alle Menschen Nutzen ziehen können. Öffentliche Gelder werden künftig verstärkt in die Herstellung von öffentlichen Gütern investiert. Dadurch verkleinert sich der so genannte Digital Divide, und alte und junge, sozial hoch und niedrig gestellte sowie Menschen in industrialisierten und nicht-industrialisierten Regionen der Welt erhalten gleichermassen freien Zugang zu Wissen und Bildung – beides Menschenrechte laut Artikeln 19 und 26 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte.

Diese schöne, neue Welt entsteht nicht einfach so. Heutige Strukturen, besonders im öffentlichen Bereich, verhindern noch zu oft die Nutzung dieses Potentials. Aus diesem Grund wurde in der Schweiz Anfang des Jahres auch die Parlamentarische Gruppe Digitale Nachhaltigkeit von Politikern aus allen Parteien gegründet. Mit 25 National- und Ständeräten ist bereits jeder zehnte Parlamentarier Mitglied der Gruppe, die sich für die Förderung von digital nachhaltigen Technologien einsetzt.

Auswirkungen für Hersteller digitaler Güter

Wo aber im Konzept der Digitalen Nachhaltigkeit bleibt Wertschöpfungspotential für die Produzenten von digitalen Gütern? Wird dadurch nicht die Konkurrenz zunehmen und die Umsätze und Margen drücken? Ja, das ist die eine Seite der Münze. Aber diese und andere Veränderungen im Bereich der digitalen Güter sind unaufhaltsam. Technologische Entwicklungen wie das Internet haben die Musikindustrie umgekrempelt und neue Gewinner und Verlierer geschaffen. Wer also Marktentwicklungen ignoriert und nicht nach alternativen Geschäftsmodellen Ausschau hält, kann rasch von Branchenveränderungen überrumpelt werden. Und wenn selbst das traditionelle Marktforschungsunternehmen Gartner einen weiteren Anstieg von Open Source Software prophezeit, dann sind grössere Veränderungen in der Software-Industrie absehbar.

Das Dienstleistungsmodell für Open Source Software

Geschäftsmodelle mit Open Source Modelle gibt es viele, grundsätzlich lassen sich aber zwei Arten unterscheiden, das Dienstleistungsmodell und das Hybrid-Modell. Beim ersten Modell erbringen Unternehmen wie Red Hat oder Liip Dienstleistungen rund um Open Source Technologien wie Linux oder PHP, über die sie mit Wissen und Erfahrung verfügen. So können sie kompetent Dienstleistungen wie Beratung, Implementierung, Erweiterungen, Schulung und Wartung anbieten. In dem sich diese Open Source Firmen aktiv an der Weiterentwicklung der unterstützten Open Source Produkte beteiligen, in dem sie Mitarbeitern Arbeitszeit dafür zur Verfügung stellen, schaffen sie sich Know-How über die jeweiligen Open Source Lösungen an. Der Zugriff auf diese so genannten Kernentwickler befähigt die Firmen, rasch und kompetent Probleme von Kunden zu beheben und Änderungen am Quellcode vorzunehmen. Dies wiederum ermöglicht das Abschätzen von Risiken und lässt den Abschluss von Service Level Agreements zu – ein klares Bedürfnis von Kunden, die Open Source Technologien einsetzen.

Andere Arten von Geschäftsmechanismen des Dienstleistungsmodells sind beispielsweise bei der Open Source E-Learning Lösung Moodle erkennbar. Um diese etablierte Web-Applikation an ihre Bedürfnisse anzupassen, beauftragen Kunden die Firma Liip nicht nur um spezifische Veränderungen vorzunehmen, sondern erteilen zwecks langfristiger Wartung in gewissen Fällen sogar den Auftrag zur offiziellen Weiterentwicklung des Open Source Projekts mit bestimmten Funktionalitäten. Viele solcher Anfragen treffen über die internationale Plattform www.moodle.com ein, auf der ausschliesslich akkreditierte Moodle-Partner aufgeführt sind. Diese wiederum verpflichten sich, 10% ihres Umsatzes mit Moodle-Dienstleistungen der australischen Firma Moodle Headquarters abzugeben, die für die nachhaltige Weiterentwicklung des Open Source Projekts verantwortlich ist.

Der Mix von Open Source und Closed Source

Hybrid-Modelle, die zweite Art von Geschäftsmodellen, vermixt in gewissem Sinne Open Source Software mit proprietärer Software. Firmen wie Alfresco oder Sun Microsystems bieten ihre Software-Produkte sowohl unter einer Open Source Lizenz als auch unter einer proprietären Lizenz an. Andere Unternehmen wie IBM veröffentlichen Open Source Technologien, erreichen dabei eine hohe Marktdurchdringen und verkaufen so erfolgreich proprietäre Erweiterungen. Auch Google und Nokia betreiben mit Android und Maemo ein Mix zwischen offener und geschlossener Software, obwohl dabei der eigentliche Umsatz nochmal mit anderen Quellen (Werbung resp. Hardware-Verkauf) erwirtschaftet wird. Nichtsdestotrotz zeigen all diese Beispiele, dass ohne weiteres mit ‚Gratis-Software‘ erfolgreich Geld verdient werden kann.

Digitale Nachhaltigkeit im Enterprise Content Management

Abschliessend bleibt die Frage, welchen Einfluss das Konzept der digitalen Nachhaltigkeit auf den Bereich Enterprise Content Management ausübt. Zwei grundlegende Anforderungen an ECM-Systeme zeigen deutlich die Wichtigkeit der Nachhaltigkeits-Thematik in diesem Bereich auf: Die langfristige Speicherung der Inhalte („Content“) und die integrierte Verwaltung („Management“) der Daten. Open Source Lösungen basierend auf offenen Schnittstellen und Standards sind eine Antwort auf dieses Bedürfnis, Daten flexibel zugreifbar zu verwalten und nachhaltig abzulegen. Welche offenen Standards in welchen ECM-Lösungen künftig verwendet werden ist eine Diskussion, zu der alle ECM-Anbieter und -Anwender aufgerufen sind. Plattformen wie das ECMforum bieten dafür einen wichtigen Rahmen um Pionierprojekte vorzustellen und neue Lösungswege aufzuzeigen.

Über den Autor

Matthias Stürmer, Dr. sc. ETH Zürich, lic.rer.pol., arbeitet als Projektleiter beim Internet-Dienstleister Liip AG. Er hat an der Universität Bern Betriebswirtschaft und Informatik studiert und an der ETH Zürich im Bereich der Open Source Software Forschung doktoriert. Daneben ist er Vorstandsmitglied der /ch/open und Sekretär der Parlamentarischen Gruppe Digitale Nachhaltigkeit.

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