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Artikelhinweis Tagesanzeiger/Der Bund (PDF):

10.10.2011 – Das Aussendepartement schreibt einen Millionenauftrag für einen neuen Internetauftritt aus. Die Gewinner stehen bereits fest.

Unter der Meldenummer 686333 schreibt der Bund im «Schweizerischen Handelsamtsblatt» ein «strategisches Vorhaben von hoher Priorität» aus: Bis im Frühling 2013 will das Aussendepartement (EDA) seinen Internet-Auftritt von Grund auf neu gestalten. Auch die Internet-Auftritte aller ausländischen Vertretungen, der Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit (Deza) und der Kooperationsbüros sollen neu realisiert werden.

Am 20. September wurde die Ausschreibung publiziert, bis Ende Oktober haben IT-Anbieter Zeit, ihre Offerte beim Bundesamt für Bauten und Logistik einzureichen. Allein für die Konzeptionsphase veranschlagt das EDA laut eigenen Aussagen 900 000 Franken, bei 380 veranschlagten Arbeitsstunden. Für die Realisierung der Webplattformen sowie für deren Support und Wartung in den folgenden vier Jahren dürfte der Bund bei 12 000 budgetierten Arbeitsstunden einen zweistelligen Millionenbetrag ausgeben, sofern das EDA den ganzen Auftrag wie geplant realisiert.


Problematische Vergabepraxis

Noch bevor der Auftrag an einen Anbieter vergeben wurde, sorgt die Ausschreibung für Kritik: Die Schweizer Open-Source-Anbieter fühlen sich benachteiligt. Sie stellen Computersoftware her, die beliebig kopiert, verbreitet und genutzt werden kann. Sie kritisieren, dass die Webplattformen laut Auftragsbeschrieb «zwingend» auf Software der US-Riesen Microsoft und Adobe basieren müsse. «Es widerspricht der Rechtsprechung des Bundesgerichts, dass das EDA vorgibt, von welchen Herstellern die Software für die Webplattform stammen muss», sagt Matthias Stürmer, Geschäftsleiter der parlamentarischen Gruppe «Digitale Nachhaltigkeit».

Stürmer verweist auf das jüngste Bundesgerichtsurteil über die Vergabe eines Auftrags über 42 Millionen Franken an Microsoft durch den Bund. Open-Source-Anbieter hatten Beschwerde eingereicht, weil der Bund im Vergabewettbewerb keine Konkurrenten eingeladen hatte. Sie blitzten mit ihrer Beanstandung aber ab, da die Richter in Lausanne ihnen die Beschwerdeberechtigung absprachen. Inhaltlich jedoch habe das Bundesgericht die Forderung bestätigt, dass die Ausschreibung nach rein funktionalen Kriterien erfolgen müsse.

Vor diesem Hintergrund halten auch Beschaffungsrechtler die Vergabepraxis des Bundes für problematisch, zumal das Aussendepartement von einem offenen Verfahren spricht: «Das ist wie wenn man einen Architekten für ein Projekt sucht, man aber zugleich sagt, die Pläne müssten von Jean Nouvel stammen», kritisiert Verwaltungsrechtler Philipp do Canto. Alle Open-Source-Firmen würden von vornherein ausgeschlossen.

Beim Bundesamt für Bauten und Logistik (BBL), das den Ausschreibungsprozess überprüft hat, kann man keinen Widerspruch zur bundesgerichtlichen Rechtsprechung erkennen. EDA-Sprecher Adrian Sollberger wiederum betont, eine Ablösung der technischen Plattformen von Microsoft und Adobe steht gar nicht zur Diskussion, da diese gegenwärtig auch für andere Anwendungen genutzt würden. Stattdessen gehe es in der Ausschreibung darum, Spezialisten zu finden, welche die neue Internet-Plattform konzipieren und realisieren», so der Sprecher.

Christian Walter vom Label Swiss Made Software, das 150 Schweizer IT- Firmen vertritt, kritisiert, dass der Bund mit seiner Vergabepraxis nicht für gleich lange Spiesse bei allen Anbietern sorge. Stattdessen würden die US-Software-Giganten begünstigt. Walter warnt davor, dass der Bund auf ein sogenanntes Lock-In zusteuere. Mit anderen Worten: Ein Wechsel zu Anbietern freier Soft- ware wird immer schwieriger – und unwahrscheinlicher. Darunter litten auch Schweizer Software-Hersteller: «Eine gesunde Schweizer Software-Branche kann nur existieren, wenn Alternativen zu den US-Softwareherstellern kultiviert werden», so Walter.

Auch im Parlament war der Auftrag des EDA Thema. «Weshalb ist die Ausschreibung nicht korrekt erfolgt?», wollte SP Nationalrätin Edith Graf Litscher, Co-Präsidentin der parlamentarischen Gruppe «Digitale Nachhaltigkeit», vom Bundesrat wissen. Graf-Litscher bezeichnet die Stellungnahme des EDA als «unbefriedigend». Sie hofft auf noch hängige parlamentarische Vorstösse, die im Beschaffungswesen gleiche Chancen für Hersteller von freier und proprietärer Software fordern. Noch einmal die Gerichte bemühen können die Anhänger der Open-Source-Gemeinschaft nicht: Die Beschwerde gegen die Microsoft-Vergabe kostete sie eine Viertelmillion Franken. Jetzt ist die Kasse leer.


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Der vollständige Zeitungsartikel aus „Der Bund“ ist als PDF verfügbar.

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