Themen: Creative Commons, Digitale Nachhaltigkeit, Forschung, Open Content, Open Government Data, Open Source, Wikipedia


Wer sich um die ökologische, soziale und ökonomische Zukunft unserer Erde sorgt, befasst sich automatisch mit dem eigentlich uralten Konzept der Nachhaltigkeit: Schon 1713 hat Hans Carl von Carlowitz erkannt, dass in einem Wald nur so viele Bäume gefällt werden dürfen, wie auch wieder nachwachsen.

Autor: Matthias Stürmer, Universität Bern

Beitrag zu digitaler Nachhaltigkeit im Magazin IT business 2/2017

Nachhaltige Entwicklung ist heute Common Sense. International etabliert ist das Verständnis der nachhaltigen Entwicklung, seitdem die Vereinten Nationen im Brundtland-Bericht definiert haben: «Dauerhafte Entwicklung ist Entwicklung, welche die Bedürfnisse der Gegenwart befriedigt, ohne zu riskieren, dass künftige Generationen ihre eigenen Bedürfnisse nicht befriedigen können.»

Daraus abgeleitet wird heute verstanden, dass sowohl die Umwelt als auch die Menschen und die Volkswirtschaften wichtige Grundlagen für unser Zusammenleben bilden und deshalb schützenswert sind. Das Konzept der digitalen Nachhaltigkeit geht noch einen Schritt weiter und besagt, dass auch das Wissen für den Fortbestand der Menschheit wichtig ist und deshalb als schützenswerte Ressource behandelt werden sollte. Denn obwohl digitales Wissen in Form von Daten und Software beliebig genutzt und vervielfältigt werden könnte, behindern restriktive Lizenzen oder technische Sperren dessen Potenzial für die Gesellschaft.

Was hat das für Konsequenzen? Dazu muss zuerst die duale Rolle der Digitalisierung verstanden werden. Informations- und Kommunikationstechnologien (ICT) können einerseits als indirekte Mittel zum Erreichen der nachhaltigen Entwicklung eingesetzt werden. Beispielsweise schreibt der Bundesrat 2016 in seiner Strategie «Digitale Schweiz»: «Digitalisierung und Vernetzung unterstützen die Erreichung der klima- und energiepolitischen Ziele der Schweiz.» Gemeint sind dabei Einsatzgebiete wie Smart Grids oder Logistik, wo ICT hilft Strom zu sparen oder Transportwege zu optimieren.

Andererseits kann die Digitalisierung auch als direktes Mittel zur nachhaltigen Entwicklung einen Beitrag leisten, indem digital nachhaltige Gemeingüter geschaffen werden. Beispielsweise kann der Einsatz von Open-Source-Software in Entwicklungsländern die Abhängigkeit von westlichen ICT-Herstellern reduzieren und so die lokale Wertschöpfung im Süden vergrössern. Oder offen zugängliche Informationen auf Wikipedia und OpenStreetMap lassen auch Menschen mit niedrigem Einkommen vom globalen Wissen profitieren. Ziel der digitalen Nachhaltigkeit ist dabei stets, das digitale Wissen für alle zugänglich zu machen und zu schützen, um den Nutzen der Digitalisierung für die Menschheit heute und morgen zu maximieren. Im Endeffekt resultieren daraus sogenannte digital nachhaltige Gemeingüter, die allen frei zugänglich sind.

 

Welche Eigenschaften definieren digital nachhaltige Wissensgüter?

Eine im Januar 2017 erschienene wissenschaftliche Publikation beschreibt zehn Voraussetzungen, die für digital nachhaltige Güter und deren Ökosysteme zutreffen müssen (siehe Abbildung):

  1. Das digitale Gut muss qualitativ ausgereift sein. Beispielsweise muss eine Software-Lösung verständlich programmiert sein, korrekt und sicher funktionieren und die benötigten Anforderungen vollständig abdecken.
  2. Digitale nachhaltige Güter müssen transparente Strukturen aufweisen, d.h. der Quellcode einer Software muss vollständig offengelegt und das Format von Daten mittels eines offenen Standards öffentlich nachvollziehbar dokumentiert sein. Diese technische Transparenz ermöglicht Kontrolle und Verbesserungen, was zu mehr Vertrauen und weniger Fehlern führt.
  3. Die fortschreitende Digitalisierung erfordert, dass Informationen nicht nur von Menschen, sondern auch von Maschinen verstanden werden. Folglich müssen digital nachhaltige Informationen durch semantische Daten miteinander verknüpft sein. Durch solche Metadaten lassen sich grosse Mengen digitaler Informationen maschinell weiterverarbeiten, aggregieren und interpretieren.
  4. In der digitalen Welt spielt auch der physische Aspekt eine wichtige Rolle. Sind Daten nur an einem Ort gespeichert oder läuft ein System nur auf einem einzigen Server, ist die langfristige Verfügbarkeit dieser digitalen Güter gefährdet. Digital nachhaltig ist es, wenn Informationen und Anwendungen redundant z. B. mittels Peer-to-Peer-Ansätzen mehrfach an unterschiedlichen Orten gespeichert sind. So wird die Abhängigkeit vom physischen Standort reduziert und die dauerhafte Verfügbarkeit erhöht.

Weitere Eigenschaften betreffen das Umfeld, in dem das digitale Gut genutzt und weiterentwickelt wird:

  1. Rechtliche Rahmenbedingungen müssen erlauben, dass digitale Güter beliebig angewendet, verändert und weiterverteilt werden dürfen. So kann einmal erschaffenes digitales Wissen durch die Gesellschaft verbessert und uneingeschränkt angewendet werden.
  2. Die fachkundige Verbesserung und Erweiterung digitalen Wissens verlangt, Know-how und Erfahrungen auf möglichst viele Menschen aus unterschiedlichen Organisationen zu verteilen. So können die Wissens-Abhängigkeit von einzelnen Personen und Firmen reduziert und die Beiträge von anderen zahlreicher werden.
  3. Alle kompetenten Personen sollen sich mit konstruktiven Beiträgen an der Erweiterung und Weiterentwicklung des digitalen Guts beteiligen können. Dazu braucht es eine gesunde Partizipations-Kultur. Z. B. können Peer-review-Prozesse in der Community die erforderliche Qualität der Daten und Software sicherstellen.
  4. Faire Führungsstrukturen gewährleisten, dass die Kontrolle über das digitale Gut nicht bei einer einzigen Person oder Organisation liegt, sondern möglichst dezentral verteilt ist. Transparente Governance-Strukturen wie öffentliche Wahlen regeln dabei die Verantwortlichkeiten.
  5. Die Infrastruktur (beispielsweise Internet-Server), das zuständige Personal und weitere Ressourcen sollten von möglichst unterschiedlichen Akteuren bezahlt werden. Eine breit abgestützte Finanzierung erlaubt Unabhängigkeit von einer einzelnen Institution und reduziert Interessenskonflikte.
  6. Und schliesslich sollen digital nachhaltige Güter und deren Communitys einen Beitrag zur nachhaltigen Entwicklung im klassischen Sinne leisten. Mit anderen Worten haben digital nachhaltige Programme und Daten eine positive ökologische, soziale oder ökonomische Wirkung. Gleichzeitig müssen digital nachhaltige Güter in ihrer Herstellung und Anwendung Ressourcen aus nachhaltigem Hintergrund benutzen, beispielsweise Strom aus erneuerbaren Energiequellen oder Arbeitskräfte mit fairer Entlöhnung.

Diese zehn Voraussetzungen für digital nachhaltige Güter scheinen auf den ersten Blick schwierig erreichbar bis utopisch. Dennoch gibt es zahlreiche Beispiele, die bereits viele der Anforderungen erfüllen. So wird z. B. das Open-Source-Betriebssystem Linux durch Tausende Personen aus unterschiedlichen Firmen weiterentwickelt. Entscheidet etwa ein einzelnes Unternehmen, künftig nicht mehr in die Linux-Weiterentwicklung zu investieren, gefährdet dies nicht den Fortbestand des gesamten Open-Source-Projekts.

Oder Plattformen wie Wikipedia und OpenStreetMap erlauben die Partizipation beliebiger Personen, die korrekte Informationen beitragen wollen. Entspricht die Qualität nicht den Anforderungen oder enthalten die Beiträge Fehler, so gewährleisten faire Governance-Strukturen die Integration besserer Lösungen.

Interessanterweise sind auch Anwendungsgebiete weit ausserhalb der Informatik denkbar. So wurde jüngst das Saatgut der resistenten Tomatensorte Sunviva unter einer Open-Source-Lizenz verbreitet. Dadurch wird verhindert, dass Agronomie-Konzerne durch Patente auf Pflanzen deren Verbreitung und damit ihren Nutzen für die Gesellschaft einschränken.

Dieses Beispiel zeigt, dass die Prinzipien der digitalen Nachhaltigkeit auch in ICT-fremden Sektoren angewendet werden können, um digital nachhaltige Gemeingüter zu schaffen. Man darf gespannt sein, in welchen weiteren Anwendungsgebieten dieses Modell zum Einsatz kommen wird.

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